Ein riesiger jüdischer Witz
NÜRNBERG - Wie Lessings feinsinniges Toleranz-Stück und Taboris schwarze Friedhofs-Groteske in Nürnberg zum Theater-Crash zusammengeführt werden.
Ein fein gesponnen Lustspiel über Antisemitismus und eine drastische Groteske am Friedhof der Nazi-Opfer: Gotthold Ephraim Lessings „Die Juden“ und George Taboris „Jubiläum“, für Nürnberg zwei unbekannte Stücke, haben am Samstag (danach am 1., 4. und 5.3.) Premiere in der Kongresshalle. Frank Behnke führt Regie.
AZ: Zwischen Lessing und Tabori liegen fast 250 Jahre. Wie sind die Stücke in die gleiche Schublade geraten?
FRANK BEHNKE: Durch George Tabori, denn das Lessing-Lustspiel war seine letzte Inszenierung. Es ist ein wunderbares Gedankenspiel, zwei so deutlich für Toleranz kämpfende und dabei so gegensätzliches Theater machende Autoren zusammenzubringen.
Worin besteht denn der Gegensatz?
Der junge Lessing stellte sich im Rahmen seines Lustspiels ganz naiv eine Frage: Woher kommt es, dass Menschen, die ich sehr schätze, solchen Vorurteilen ausgesetzt sind? Bei ihm betritt erstmals in der Theatergeschichte ein positiv gezeichneter Jude die Bühne, gerade mal zehn Jahre nach dem historischen „Jud Süß“. Tabori bewältigt das Thema aus den eigenen Lebenserfahrungen mit bösem Sarkasmus, wenn er auf einem Friedhof die Untoten das Jubiläum der Machtergreifung begehen lässt.
Und da finden Sie eine begehbare Brücke?
Die aufgeworfene Problematik ist vergleichbar, denn beide Autoren suchen nach der Normalität, die sich gegen die ewige Wiederkehr der Rechtsradikalen stemmt.
Suchen Sie bei Lessing die Vorstudie zum großen Sonntagsreden-Pathos, das „Nathan der Weise“ später lieferte?
Man sieht es vielleicht heute aus diesem Blickwinkel, denn in der kleinen Enthüllungs-Intrige steckt die ganze Utopie von Aufklärung und Bildung als Basis unserer heutigen Gesellschaft. Wir haben ja keine anderen Rezepte fürs Überleben gefunden, wir bleiben auf diesen Ausgangspunkt der Hoffnung angewiesen.
Taboris Zombie-Party am Friedhof ruft alle Nazi-Opfergruppen, neben den Juden auch Behinderte und Homosexuelle, auf die Bühne. Ist seine Provokation die richtige Antwort auf Lessings guten Willen?
Es sind zwei Theaterwelten, mit denen wir zu tun haben. Lessing schrieb ein Kopf-Stück, bei dem jeder wohlüberlegte Satz wie Öl runtergeht. Dafür suchen wir eine Form von Manierismus. Taboris Text, der mit überbordend anarchischer Phantasie und ungeheuer mutig geschrieben ist, wirkt dagegen wie ein Steinbruch, aus dem wir etwas bauen müssen.
Dem jüdischen Autor mit seiner Emigranten-Biografie wird keiner das Recht auf schwarzen Humor absprechen können. Aber wie ist das mit den deutschen Interpreten von heute?
Tabori macht die Schauspieler frei. Wie er mit vielen literarischen Anspielungen von den Narren des Holocaust erzählt, ist das eine merkwürdige Totenmesse, ein riesiger jüdischer Witz. Ungeheuer, was er sich traute und wie er den Darstellern Mut gibt, diesen therapeutischen Rausch umzusetzen. Alle Beteiligten haben mit Lessing weit größere Probleme als mit Tabori.
Bleiben die beiden Autoren in Ihrer Aufführung säuberlich getrennt?
Grundsätzlich schon, aber es gibt eine Sollbruchstelle, wo wir Tabori kurz in den Lessing einbrechen lassen, um den Crash von Stil und Form zu zeigen. Die Verbindung besteht darin, dass die selben Schauspieler beide Stücke spielen.
Sie müssen also jeden Abend den großen Hebel umschalten?
Ja, auch die Zuschauer. Da bekommt die Pause ihren tieferen Sinn. Am Ende findet man sicher Linien, die über viele Ecken vom ersten Stück ins zweite geführt haben.
Gibt es Schock oder bloß Komik, wenn der Autor vorschreibt, dass Personen aus dem Grab ohne Ohr oder Nase auftreten?
Tabori lässt das Grauen lachen, seine Komik entsteht durch die lakonische Behauptung von Normalität. Wir zeigen keine pittoreske Friedhofs-Szene, sondern Figuren, die uns nahe kommen – als wären es Leichen in der Fußgängerzone. Dieter Stoll
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