"Ein Freibrief für die Waffenindustrie"

Die AZ hat den Waffenexperten Thomas Küchenmeister zur Definition und Wirkung von "Streumunition" befragt. Er ist Leiter des "Aktionsbündnisses Landmine.de", das sich seit Jahren für ein umfassendes Verbot dieser umstrittenen Waffen einsetzt.
von  Abendzeitung
Waffenexperten Thomas Küchenmeister
Waffenexperten Thomas Küchenmeister © az

MÜNCHEN - Die AZ hat den Waffenexperten Thomas Küchenmeister zur Definition und Wirkung von "Streumunition" befragt. Er ist Leiter des "Aktionsbündnisses Landmine.de", das sich seit Jahren für ein umfassendes Verbot dieser umstrittenen Waffen einsetzt.

AZ: Was versteht man unter Streumunition bzw. Streubomben?

THOMAS KÜCHENMEISTER: Streumunitionen sind Waffensysteme, die über einem Zielgebiet eine Vielzahl von kleineren Explosivgeschossen, so genannte "Submunitionen" oder "Bomblets", verteilen.

Wie wirkt diese Munition? Welche Gefahren birgt sie für Zivilisten?

In erster Linie ist Streumunition für die Zivilbevölkerung gefährlich, weil die Waffe wahllos tötet. Sie kann nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden. Zudem erzeugt Streumunition eine Vielzahl gefährlicher Blindgänger.

Welche Waffensysteme werden damit ausgestattet?

Streumunition kann mit Haubitzen, Artilleriegeschützen, Raketenwerfern oder Hubschraubern oder in Form von Bomben eingesetzt werden.

Die Nürnberger Firma Diehl hat lange Streumunition produziert und verkauft? Wie hoch waren die Gewinne?

Diehl BGT bietet zusammen mit der slowakischen Firma Konstrukta den Raketenwerfer RM-70 Modular an. Insgesamt wurden in den letzten Jahren mehr als 400 Raketen mit über 250 000 herkömmlichen Streumunitionen via Diehl BGT in die Slowakei geliefert. Der Gesamtwert des Geschäftes soll sich auf über 36 Millionen Euro belaufen.

Seit wann ist Streumunition geächtet?

Seit der Streubomben-Konvention von Dublin im Mai 2008 ist Streumunition von annähernd 100 Staaten geächtet. Allerdings hat die deutsche Regierung unter der Androhung, ansonsten die Konvention nicht zu unterzeichnen, durchgesetzt, dass so genannte "intelligente Streumunition" vom Verbot ausgenommen sind.

Was steckt dahinter?

Wer solche Ausnahmen durchsetzt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er der Industrie für alle Zukunft einen völkerrechtlichen Freibrief für ganze Kategorien von neuen Waffensystemen ausstellt, über deren Wirkweise noch nichts bekannt ist. Jedenfalls sind auch zukünftig zivile Opfer nicht auszuschließen.

Warum kritisiert das Aktionsbündnis Landminen diese Politik?

Nicht nur wir, selbst Bundestagsabgeordnete der Regierungsfraktionen, halten diese Ausnahme für zu leichtfertig, da die Auswirkungen und der militärische Nutzen der neuen, alternativen Streumunition nahezu unbekannt sind und die Veröffentlichung von Testergebnissen nach wie vor verweigert wird.

War das Lobby-Arbeit für die deutsche Rüstungsindustrie, also für Rheinmetall und die Firma Diehl?

Das kann ich nicht sagen. Fakt ist aber, dass zum Beispiel Rheinmetall die Politik der Bundesregierung in Bezug auf Streumunition ausdrücklich unterstützt hat.

Um welche Summen geht es bei diesem Geschäft?

Die rund 30 Millionen Streumunitionen im Bestand der Bundeswehr dürften den deutschen Steuerzahler über 2,5 Milliarden € gekostet haben. Der Umsatz, der mit der alternativen Streumunition wie zum Beispiel SMArt erzielt wird, dürfte bislang bei mindestens 2 Milliarden Euro liegen.

Sie bezeichnen diese so genannte "Punktzielmunition" als "alternative Streumunition" - warum?

Im Grunde hat die Bundesregierung den Begriff geprägt. Dabei wurde alternative Streumunition zunächst als „sensorgezündete Flächenmunition“ bezeichnet, aus der dann „Alternativmunition“ bzw. „Punktzielmunition“ wurde, weil man offensichtlich diese Munition auf keinen Fall mehr mit Streumunition in Verbindung bringen wollte. Alternative Streumunition wird eben als militärische Alternative zur herkömmlichen Streumunition betrachtet, weil sie sich Ziele suchen können und weniger Blindgänger produzieren soll - vorausgesetzt sie wird denn auch in geringer Stückzahl eingesetzt.

Das Bundesverteidigungsministerium und die Firma Diehl wollen eine neue Sprachregelung: Diese neue Form von Streumunition soll nicht mehr als Streumunition bezeichnet werden. Erinnert das nicht an Orwell bzw. an einen gravierenden Angriff auf die Pressefreiheit?

Zumindest könnte es sich wohl um eine Art positive Sinnentsorgung handeln, denn selbst Militärexperten geben ja an, dass es sich bei alternativer Streumunition rein technisch gesehen auch um Streumunition handelt.

Sie haben aber außerdem auch Zweifel an der "Intelligenz" dieser Waffen?

Ein britischer Diehl-Konkurrent hat vor kurzem im deutschen Fernsehen erklärt, dass alternative Streumunition so intelligent nicht sein kann, um eindeutig einen Panzer von einem ähnlich großen zivilen Lastwagen zu unterscheiden. Das finde ich bedenklich.

Welche Risiken hat die "Punktzielmunition" - zum Beispiel bei schlechtem Wetter?

Hinter vorgehaltener Hand sagen selbst Mitarbeiter von Rheinmetall, das die alternative Streumunition bzw. deren Sensoren bei schlechtem Wetter schlecht bzw. gar nicht funktionieren, das heißt Ziele nicht erkennen, geschweige denn unterscheiden können.

Warum greift die Firma Diehl nicht Sie an, sondern einen einzelnen Journalisten?

Das müsste man die Firma Diehl fragen.

Die Firma Diehl will sich zum laufenden Verfahren nicht äußern. Wie beurteilen sie den Münchner Prozess: Soll er eine Warnung und Abschreckung für alle Medien und Kritiker sein?

Wahrscheinlich will man ein Exempel statuieren und Kritiker abschrecken. Es geht um viel Geld, um Image und um zukünftige Rüstungsmärkte.

AZ: Herr Küchenmeister, vielen Dank für dieses Gespräch.

Interview: Michael Backmund

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