Ein Adler mit Manifest

Nürnbergs Kunsthalle sammelt in „Das Gelände“ zwölf Reaktionen auf die Nazi-Ruinen. Die Antworten auf das ruinöse Überbleibsel einer größenwahnsinnigen Zeit sind keine Auftragsarbeiten und bis zum 31. August zu sehen.
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Der große "Totaladler" und weitere unheimliche Bild-Gestalten: Raum von Jonathan Meese in der Kunsthallen-Schau "Das Gelände".
Berny Meyer Der große "Totaladler" und weitere unheimliche Bild-Gestalten: Raum von Jonathan Meese in der Kunsthallen-Schau "Das Gelände".

NÜRNBERG -Nürnbergs Kunsthalle sammelt in „Das Gelände“ zwölf Reaktionen auf die Nazi-Ruinen. Die Antworten auf das ruinöse Überbleibsel einer größenwahnsinnigen Zeit sind keine Auftragsarbeiten und bis zum 31. August zu sehen.

Schon im Eingangsraum der Kunsthalle wird das Prinzip der neuen Ausstellung unterlaufen – und beim Pamphlet-Artisten Jonathan Meese dann sowieso. Eigentlich wollte Ellen Seifermann, als sie sich der Initiative einer Diskussion über das Reichsparteitagsgelände anschloss (der Umzug des Theaters in die Kongresshalle hatte die ruhende Frage aufgewirbelt) ihre betont lapidar „Das Gelände“ betitelte Sammelschau mitnichten auf Neuigkeitswert fixieren. Die zwölf Künstler, deren Antworten auf das ruinöse Überbleibsel einer größenwahnsinnigen Zeit versammelt sind, sollten keine Auftragsarbeiten liefern, sondern beispielhaft zeigen, zu welchen Ergebnissen sie in der geistigen Auseinandersetzung mit dem ideologischen Restposten gekommen sind.

Massenbegeisterung und Panzer-Poesie

Und nun dies: Patrick Ruckdeschel montierte eine Animation aus Videospiel-Bausteinen, in der Massenbegeisterung und Panzer-Poesie unter dem höhnischen Titel „Drum haltet zusammen“ toben. Zwei Schritte weiter hängt frisch aus Berlin gefaxt Jonathan Meeses auf 5.7.08 datierte Krakelei eines Manifests, das „die Diktatur der Kunst“ fordert: „Kein Mensch mehr wird mickrige Menschenbefindlichkeit zum Gesetz für andere erheben“. Sein 500 Kilo schwerer „Totaladler“ dürfte mehr Aufmerksamkeit erregen, wie auch das Bild, auf dem Betrachter tröstende Worte wie „Du bist ein Nichts, Sorry!“ finden.

Eine ganze Werkstatt voller Entwürfe zeigt Winfried Baumann als Rauminstallation, deren Einzelheiten bis ins Jahr 1981 zurückreichen. Granitplatten, Dokumente, Entwürfe für eine „Straße der Erinnerung“, aber auch ein Schriftstück von 1936, wo die Steinmetz-Innung die Anrede „Werter Berufskamerad!“ nutzt. Wolf Sakowski stilisiert Hitlers Redner-Kanzel und streut Buchstaben drunter – alle mit Anführungszeichen versehen, als Warnung vor dem manipulierten Wort.

Ein täuschendes Bild von Gemütlichkeit lässt Claus Föttinger in seiner Bar bei „Alberts Burger King“ entstehen. Leucht-Objekte in Fußball-Form schweben über drei Bildschirmen, die Gelände-Filmaufnahmen von damals und heute ineinander fließen lassen. Der Nürnberger, der jetzt in Düsseldorf arbeitet, bezieht sich am deutlichsten auf die Debatten früherer Jahrzehnte: „Irgendwie war es doch immer mit Freizeit verbunden“. Das Colosseum als Fußball- oder Tennisstadion, als Einkaufszentrum oder – die extremste Gegenposition – als verrottende Bau-Metapher.

Ein Trost: Geschichtliche Irrtümer können auch mal klein ausfallen

Die Künstler suchen, wie der auch sonst gern auf historischem Gelände lesende Ross Birrell aus Glasgow, eigene Symbolik. Vor der Zeppelintribüne sitzt er im Regen und liest „Mein Kampf“. Den Titel, sagt Ellen Seifermann, dürfen wir auch auch meteorologisch verstehen. Etwas Familien-Porno bei Juergen Teller zusätzlich zu Verfallsbildern von der rissigen Tribüne, etwas Metaphern-Arrangement von Bernhard Prinz, wo das Ideal von Schnapsflaschen umstellt, also eine Schnapsidee ist.

Viel zu sehen, gedanklich viel zu sortieren in dieser Ausstellung. Im letzten Raum lässt Artur Zmijewski mit Leuten von heute eine Travestie von Arbeitsdienst-Brigaden marschieren und filmt Touristen-Humor, der an einschlägigem Ort die Hände zum gewissen Gruß hochreißt. Wie Marlene Dietrich als Lili Marlen auf der Endlos-Tonspur zu Lale Andersen ernannt wird, ist das Trost, dass geschichtliche Irrtümer auch mal klein ausfallen können. Dieter Stoll

Ausstellung: bis 31. August

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