Duft ohne Parfüm-Wolken
NÜRNBERG - Lang Lang bestätigt in Nürnberg seine pianistische Klasse.
Das ist sportlich: Eben noch hieb Lang Lang vehement in die Tasten des Steinway-Flügels, jetzt schlendert er unter Jubel zum Ausgang, kehrt zurück, deutet ein freundliches Lächeln an, und nur die Lockerungsbewegungen der Finger verraten etwas über die zurückliegende Anstrengung. Ein Phänomen ist in die ausverkaufte Meistersingerhalle gekommen, von Kritikern verwöhnt, von breiten Massen bejubelt. Sind es die Vorschusslorbeeren, die skeptisch machen? Oder Langs mediale Dauerpräsenz?
Schon nach den ersten Takten von Franz Schuberts dreiviertelstündiger Klaviersonate Nr. 20 verfliegen die Vorbehalte. Lang verneigt sich mit klarem Anschlag vor dem Klassizisten Schubert und findet im Andantino romantisch-düstere Abgründe, dass es einem den Atem verschlägt. Aus erstaunlichen Pianissimi entwickelt er nachvollziehbar rasende Läufe, lotet die gelegentliche Dramatik des Scherzos aus, um federnd zu deeskalieren und wird so zum packenden Erzähler.
Nach der Pause verkommt Béla Bartóks Klaviersonate trotz kraftmeiernder Schlussgeste nicht zum Beweis hämmernder Muskelstärke und maschinenhafter Virtuosität, weil Lang drängend leise Töne zaubern kann und sicher durch den sperrigen, unerlösten Mittelsatz watet.
Mit Claude Debussys Préludes wählt er den denkbar größten Kontrast. Duftig, aber parfümfrei tupft er die impressionistischen Skizzen hin, findet den Bogen zu majestätischen Akkorden und elegant schillernden Klangkaskaden, um im „Feuerwerk“ mit seinen abrupten Sprüngen und Arpeggien seine ausgereifte Technik zu feiern.
Das schrammt ähnlich nah am Edelkitsch vorbei wie Frédéric Chopins übermütig gespielte Polonaise As-Dur und die Etüde in E-Dur, Langs einzige Zugabe, landet aber mit einer verzögerten Auflösung oder einer leichten rhythmischen Akzentuierung schlafwandlerisch stets auf sicherem Boden.
Entsprechend euphorisch prasselt der zunehmend stehende Applaus. Lang nimmt ihn mit Huldigungsgeste entgegen und lässt sich von Veranstalter Hörtnagel umarmen. Dann eilt er zur Autogrammstunde ins Foyer. Georg Kasch
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