Drama vom Tegelberg: Austreten überm Abgrund
Beim Gleitschirmunglück am Tegelberg in Schwangau haben die 19 Fahrgäste die Nacht zum Samstag in der über einer Felswand feststeckenden Bergbahnkabine ruhig und entspannt verbracht. „Die Leute haben schnell Vertrauen gefasst“, sagt der 37-jährige Gondelführer Jörg Mähr, der von Beruf Polizeibeamter und seit 17 Jahren bei der Bergbahn als Aushilfe tätig ist.
Schwangau - Er habe den Fahrgästen immer wieder klar gemacht, dass sie sich keine Sorgen zu machen bräuchten. Die Bergbahn habe kein Problem, sie könne eben nur nicht fahren, so schildert Mähr seine Bemühungen der Nachrichtenagentur dapd. Im ersten Moment nach dem Bahnstillstand habe er Informationen aus dem Kabinenfunk an die Fahrgäste weitergegeben und hinzu gefügt: „Mit zwei Stunden werden wir wohl rechnen müssen.“
Bilder: Die Horror-Nacht in der Seilbahngondel
Tatsächlich dauerte es 17 Stunden, bis drei Polizeihubschrauber die 19 Fahrgäste und den Gondelführer mit Seilwinden aus der Bergbahnkabine befreien und ins Tal bringen konnten. „Wir steckten 500 Meter von der Bergstation entfernt an der schwierigsten Stelle“, erklärt Mähr. Kein Blickkontakt zur Station und keine Sicht auf die Unglücksstelle, wo sich der Pilot des Tandemgleitschirms mit seinem Fluggast in den Seilen der Bahn verfangen hatte.
Abseilen war zu gefährlich
Ein Abseilen sei nicht infrage gekommen. Nur über Funk hörte der Gondelführer, dass die Tandemflieger gerettet seien. Aber der Versuch, die Spezialschnüre des Gleitschirms vom Hubschrauber aus zu zerschneiden und die Bergbahnseile wieder frei zu legen, scheiterte. Gegen Mitternacht, berichtet Mähr, sei klar gewesen, dass die Eingeschlossenen die Nacht auf dem rund zwölf Quadratmeter großen Kabinenboden verbringen müssen.
Eine Stunde später habe ein Bergretter mit einem Seilfahrgerät von der Bergstation aus ein Paket mit Getränken, Müsliriegeln und Decken zur Gondel gebracht. Danach sei auf dem gleichen Weg, nämlich unter Rollen am Tragseil der Bahn hängend, ein zweites Paket mit Verpflegung und Medikamenten geliefert worden. „Dann haben wir es uns bequem gemacht. Die 44 Personen fassende Kabine war nur knapp halbvoll. Die Leute haben sich im Kreis an der Außenwand hingesetzt. Die Kinder sind gleich eingeschlafen.“
Eine Frau habe über Bauchweh geklagt, eine zweite über Kopfschmerzen. An der 200 Meter entfernten Stütze habe sich ein Notarzt in Bereitschaft gehalten, um im Ernstfall mit dem Seilfahrgerät zur Kabine abgelassen werden zu können. „Das war glücklicherweise nicht notwendig“, erzählt Mähr.
Öffnung im Boden als Toilette
Nach einiger Zeit hätten ihn die ersten Frauen nach einer Alternative zur fehlenden Toilette gefragt. „Im Bodenblech der Kabine gibt es eine Öffnung, um Traglasten anhängen zu können. Das Loch ist zu klein, als dass jemand da durchfallen kann“, erklärt der Polizeibeamte, der schließlich das „Austreten“ organisierte: Angehörige oder Partner sorgten für Halt und Blickschutz, während sich die anderen umdrehten.
Danach, sagt Mähr, hätten die Leute und auch er immer wieder mal ein Auge zugemacht. Die Nachricht der Einsatzleitung, dass ab sechs Uhr die Evakuierung der Kabine vom Hubschrauber aus erfolgen sollte, löste unter den 19 Fahrgästen große Erleichterung aus. „Aber den meisten war auch die Nervosität anzusehen, als sich die Bergretter vom Heli aus abseilten und die Leute in das Brustgeschirr einspannten“, sagt Mähr.
Nach der Aktion hätten sich die Leute bei ihm bedankt und ihm mit den Worten „sehr gute Arbeit“ auf die Schultern geklopft, berichtet er. Das sei für ihn der entscheidende Moment gewesen, die Verantwortung loszulassen: „Ich war auch stolz auf meine Kollegen von der Bahn und auf die vielen Helfer, allesamt Leute vom Fach, die wissen, was sie tun.“
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