Doppelgängerei mit gewaltigen Papp-Köpfen

Nürnberg - Die zehn Jahre alte Inszenierung von „Iphigénie en Tauride“ funktioniert auch noch bei den Nürnberger Gluck-Festspielen im Jahr 2010
Für den theatralen Mittelpunkt, ohne den die originellsten Projekte und Konzerte der Gluck-Opernfestspiele ins Leere wirbeln müssten, haben die Veranstalter gegen alle Orpheus-Erfahrung den Blick zurück zur Programmatik gemacht. Keine neuere Produktion, hausgemacht oder eingekauft, sondern die Beschwörung einer immerhin zehn Jahre alten. Claus Guths Inszenierung, für die Salzburger Festspiele 2000 und das Opernhaus Zürich entstanden, hatte 2002 einen blühenden Ableger im Nürnberger Abo-Spielplan und führte 2010 (wo das Thema „Gluck, Paris und die Folgen“ zum Comeback herbeiwinkte) gradewegs in den Test, wie es um die Haltbarkeit moderner Opernregie steht. Ergebnis gut, auch wenn alles inzwischen weniger aufregend wirkt.
Das Maskenspiel gewaltiger Papp-Köpfe, das Claus Guths sonst gerne bespielbare Treppenhäuser bauender Dauer-Ausstatter Christian Schmidt als Basis für Doppelgängerei mit Wohnsitz im Unterbewusstsein baute, funktioniert nach wie vor. Kein Antiken-Gewalle, sondern metapherngerahmte Bilder eines zeitlos wegweisenden Dramas. Das Original leuchtet blitzsauber aus dem neuerlichen Duplikat, das Susanne Frey in sorgfältiger Personenregie nachempfand. Dass dabei manch chorischer Takthüpfer und die Schiebetür als ständig Szenenbeschaffungsmaßnahme nur noch wie pragmatische Zugriffe wirken, ist dem Alterungsprozess geschuldet.
Alterslos bleibt die Musik (von Philipp Pointner etwas zu kantenfrei flauschig, zu wenig druckvoll genommen, aber wunderbar fließend) und der Umgang der Sänger mit ihr. Dabei legt sich Star-Gast Mireille Delunsch als Rebellin gegen das Blutopfer, bei der Auftritts-Arie vom Orchester akustisch wie in Bernstein gegossen, auch nach der stimmlichen Befreiung zu sehr auf die Melancholie als Haltung fest. Das unterschwellige Strahlen fehlt ihr, die Erinnerung an Carole FitzPatrick überlebt den Abend mühelos.
Dafür entwickeln die beiden todesnahen Herren, denen die Regie einen Marterpfahl aufs Parkett baut, jede Menge Bannkraft. Tilman Lichdi als Pylade mit einem energisch bewältigten Debüt im tenoralen Grenzgebiet und der für zwei Vorstellungen ins Ensemble zurückgekehrte Bariton Dimitris Tiliakos als Orest. Er ist das Ereignis der Aufführung, hat seit 2002 vokal noch zugelegt und setzt das in Intensiv-Dramatik um, die diese Produktion nochmal zünden lässt. Großer Respekt generell, mittlere Begeisterung im Detail. Das Festival kann sich auch so sehen lassen. Dieter Stoll
Wiederholung am Donnerstag, 20 Uhr, Tickets gibt’s noch unter 01805/ 231-600