Die rätselhafte Welt der Anne-Mie

NÜRNBERG - Die Kunsthalle Nürnberg zeigt Zeichnungen, Filme und Collagen der Belgierin Van Kerckhoven.
Gepflegte Englischkenntnisse (wahlweise auch Flämisch, Französisch, Italienisch) und lesefreudige Geduld können nicht schaden bei dieser „konzentrierten Werkübersicht“ mit 120 Arbeiten, wo schon der Titel nach Übersetzung ruft. „Nothing more natural“ heißt die Ausstellung der Belgierin Anne-Mie Van Kerckhoven (57), die sich beim Suchen nach dem „Natürlichen“, nach dem Treiben der Triebe und den obszönen Triebkräften des Daseins, jeder Eindeutigkeit entzieht. In der Kunsthalle Nürnberg, neben Luzern und Brüssel eine der individuell zugeschnittenen Stationen, sind Schnitte durch eine Künstlerpersönlichkeit zu erleben, die ihre obsessive Experimental-Haltung im Feminismus und Pop-Underground ausbaute.
Gleich zu Beginn, noch im Kunsthallen-Foyer, verrät die rätselhafte Welt der Anne-Mie die poetischen Ausdrucksmöglichkeiten am deutlichsten. Da zeichentricksen sich in einer Computeranimation Frau und Mann (Sie unten, Er oben) gemäß dem Titel durch eine „Immerwährende Prophezeiung“, bis sie in einer farbigen Fruchtblase aufgelöst werden. Körperbetont ist alles bei Anne-Mie Kerckhoven, die in Ellen Seifermanns aktueller Frauen-Reihe (erst die Amerikanerin Kiki Smith, dann die Chinesin Cao Fei) einen bohrenden Blick auf „weibliche Identität“ zwischen Verführung und Vorführen riskiert.
G wie Genital, Göring, Goethe, Gorilla
„Freud“ wartet am Anfang, am Ende trifft Antonionis Filmikone Monica Vitti auf einen ziemlich beschuppten Rochen, der gegen das Aquariumsglas rempelt (das Gesamtarrangement aus Video, Video und Erinnerungsschnipsel samt nachtschwarzem Ruhecoach heißt dann „Sonnenfinsternis“). Dazwischen dürfen Augen und Filme um die Wette flimmern. Begegnet man der Exotik verwaschener Super-8-Kauzigkeit. Wird die Frage nach dem Leben in Kasernen umkreist, ein Tänzer zum Ausdruck gedrängt auf der Autobahnbrücke zwischen fließendem Verkehr und im „Sex and Technology Project“ die vulgäre Nacktheit zahlreicher Spindluder regelrecht mit Farbe verschleiert. Es geht um die „Moralische Wiederaufrüstung“.
Das Innenleben bestimmt Kerckhovens Kunst. Ob sie nun Außendarstellung oder Interieurs skizziert. Ihre Low-Tech-Fähigkeiten als Zeichnerin übertrumpfen ihre High-Tech-Collagen am PC mühelos. Wenn sie zum Nachblättern in Büchern Assoziationsreichtum zum entblößten Schamgefühl liefert (etwa G wie Genital, Göring, Johann Wolfgang von Goethe, Gorilla) und surreale Gedankenlinien mitten ins Leben fortführt.
Andreas Radlmaier
Kunsthalle (Lorenzer Str. 32): Eröffnung, Donnerstag, 20 Uhr; bis 24. Mai, Di-So 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr. Katalog: 45 Euro. Installation im K4 ab 23.4.