Die menschliche Sehnsucht nach dem Gehäuse
Nürnberg - Winfried Baumanns Nomaden-Boxen sind Frankens Beitrag zur Wanderausstellung „Kunst trotz(t) Armut“, die in Nürnberger Kirchen Halt macht
Hartz aber herzlich ist dieser von Sympathie begleitete Blick in die wachsende deutsche Klassengesellschaft: Sigmar Polke liefert in St. Sebald in seiner Staeck-Edition verschwimmende Foto-Negative über den täglichen Exhibitionismus Kölner Bettler auf der Suche nach Almosen, Jörg Immendorff lässt seine Affenwesen in St. Lorenz fordern „Gebt mir mein Gesicht wieder“ und die Becher-Schülerin Katharina Mayer macht in St. Egidien die von ihr fotografierten Berber mittels Kunstbart oder -haar zu Menschen, die nicht von dieser Weltordnung zu sein scheinen. 20 Künstler in sechs Nürnberger Kirchen und kirchlichen Einrichtungen versammelt die Wanderausstellung „Kunst trotz(t) Armut“ des Diakonischen Werkes, die bis zum 10. August zu sehen ist und die „Instant Housing“-Idee des Nürnbergers Winfried Baumann als Spielort-Klammer nutzt.
Der 52-jährige Bildhauer dürfte damit der zur Zeit am meisten gezeigte Künstler in Nürnberg sein. Denn neben den sechs kirchlichen Asyl-Stationen (auch in St. Jakob, im Eckstein und dem Diakonischen Werk) ist Baumann auch bei der „Gelände“-Begehung in der Kunsthalle dabei. Ins „Kunst trotz(t) Armut“-Projekt speist er seine seit 2001 kontinuierlich wachsenden Baureihen der WBF (WohnBehälter Fahrbar, möglicherweise auch Winfried Baumanns F-Klasse) ein: „Das hat sich fast verselbstständigt“, gesteht der Entwickler von mittlerweile 40 Objekten, die Einzelstück oder serienreif sind. Diese „Wohnsysteme für Obdachlose und andere urbane Nomaden“ – wahlweise auch als „Platte“ mit Laptop, als „Gurkenflieger“ mit Solarzellen-Strom für Saisonarbeiter und Studenten – interessierten Baumann „weit vor Hartz IV“. Und inzwischen sieht er sich in einem wachsenden Kreis von Gleichgesinnten, die „sich immer mehr in gesellschaftliche Themen einmischen“ und Statements abliefern. Denn die „Schwelle zwischen sozialem Netz und Absturz“ wird niedriger.
Die „Sehnsucht nach dem Gehäuse“ (samt Mini-Teppich davor, wie in der Lorenzkirche) schwingt in diesen Schlaf-Alu-Boxen mit, die wenig Behaglichkeit und eine Spur Ironie ausstrahlen. Frag-würdig im besten Sinne sind diese Objekte, die robust auf der Schnittstelle Minimal Art, Design, Architektur und Alltags-Produkt siedeln, sicher. Möglicherweise rollen also bald tausende Outdoor-Häuschen durchs Land. Oder, ist Baumann bevorzugtere Vision, sie würden komplett überflüssig. Für 2009 allerdings steht schon ein neues WBF-Modell an: „Cageman“. Andreas Radlmaier
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