Die Lieblings-Katze liegt immer auf dem Bett

Ian Anderson (62), Sänger und Querflötist der englischen Band Jethro Tull, vor dem Nürnberger Konzert über Rituale und Instinkte.
von  Abendzeitung
Besteht bis heute auf der Querflöte als Ausdrucksmittel der Rockmusik: Ian Anderson.
Besteht bis heute auf der Querflöte als Ausdrucksmittel der Rockmusik: Ian Anderson. © Berny Meyer

NÜRNBERG - Ian Anderson (62), Sänger und Querflötist der englischen Band Jethro Tull, vor dem Nürnberger Konzert über Rituale und Instinkte.

Ian Anderson kennt keine Eile. Im Interview ist der Sänger und Flötist von Jethro Tull entspannt und ausführlich redefreudig. Am 16. August ab 19.30 Uhr spielt die Band, deren Karriere bis in die 60er reicht, im Nürnberger Serenadenhof.

AZ: Mr. Anderson, Sie spielen mit Jethro Tull etwa 100 Shows im Jahr.

IAN ANDERSON: Es gibt viele Orte, zu denen ich gerne zurückkehre und viele, wo ich noch nicht gewesen bin. Wenn ich die Chance habe, in Beirut oder Minsk zu spielen, freue ich mich. Selbst in England werde ich im September Konzerte in Städten spielen, wo ich noch nie zuvor gewesen bin. Das ist, als ob man die fehlenden Teile eines Puzzles einsetzt.

Haben Sie nach 40 Karriere-Jahren Lieblingssongs?

Habe ich, aber sie bleiben nicht notwendigerweise dieselben. Wenn sie mich fragen würden, was meine Lieblingskatze ist, würde ich sagen, es ist die, die gerade auf meinem Bett schläft.

2006 bekamen sie einen Ehrendoktor der Literatur an der Universität in Edinburgh. Gibt es Literatur, die Jethro-Tull-Texte beeinflusst hat?

Nicht direkt. Als Teenager las ich Jack Kerouac und die Literatur, die zur Musik passte, die ich hören wollte – das waren Jazz und Blues. Später interessierte ich mich für englische Folk-Musik und klassische Musik, aber nie speziell für englische Literatur.

Kerouac war ja auch für Dylan und Tom Waits von großer Bedeutung.

Kerouac war ein Junkie, ein Säufer, ein Frauenheld und wohl ein ziemlich unerfreulicher Charakter, ähnlich wie Byron, der englische Dichter. Aber es gibt eine tragisch-romantische Seite an ihm – die Art heimatloser Beat-Kerl, niemand, den man als Freund würde haben wollen. Er würde wohl auf deinen Teppich kotzen und versuchen, dir Geld zu stehlen. Das ist ein gefährlicher Kurs, und viele haben gute Werke auch ohne Alkohol, Drogen und zuviel Sex geschaffen.

Als sie aufwuchsen, gab es in England eine Amerika-Sehnsucht.

In den Nachkriegsjahren wussten wir: Ohne die Amerikaner hätten wir in unserem kleinen Land nicht überlebt. Diese Bewunderung schuf einen leichten Weg in die Welt der Musik, um die einfachen, wiederkehrenden Motive des Blues zu verstehen, oder das raffinierte Bohemien-Gefühl des amerikanischen Jazz.

Wie kam man denn damals an die Platten?

Wir bekamen sie gar nicht. Das wenige, was wir hörten, lief im Radio. Als Teenager gab es in meiner kleinen Stadt ein kleines Geschäft, das ein paar importierte amerikanische Platten hatte. Die waren sehr teuer. Verglichen mit heute hat eine Platte etwa 50 Euro gekostet. Deshalb kauften wir eine Platte zusammen mit drei oder vier Freunden. Also hatten wir auch nur sechs bis zehn Platten. Diese Handvoll war so einflussreich für mein Leben. Die waren von Künstlern wie Muddy Waters, Howlin’ Wolf oder Sonny Boy Williamson.

Gibt es eigentlich Pläne für ein neues Jethro-Tull-Album?

In etwa zehn Minuten kommt mein Tontechniker, und dann werden wir den ganzen Tag im Studio arbeiten. Ich habe mehr als eine Stunde Studiomaterial, das wir über die letzten zwei Jahre aufgenommen haben. Vieles ist nicht fertig, aber wir waren so beschäftigt mit Live-Shows, dass nichts ging. Und wir haben noch Material für ein weiteres Album. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr wenigstens ein Album fertig machen können.

Da bin ich ja gespannt.

Seien Sie nicht zu gespannt. Die meisten Jethro-Tull-Fans wollen ja kein neues, sondern ein neues altes Tull-Album. So was wie „Aqualung Part Two“. Aber ich denke, ich muss da meinen eigenen Instinkten und meinem Feuer folgen. Interview: Christian Jooß

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