Diagnose-Ärzte auf vier Pfoten: die Krebs-Schnüffler

Für Sissi, Conny und Co. ist es nur ein Spiel, für die Betroffenen vielleicht die letzte Rettung: Die Hunde von Tierärztin Claudia May aus Röhrmoos können Tumorzellen erschnuppern
von  Abendzeitung
Tierärztin Claudia May hat Schäferhündin Sissi drei Dosen vorgesetzt, in denen jeweils ein Mundschutz steckt. Die rechte scheint den Hund zu interessieren.
Tierärztin Claudia May hat Schäferhündin Sissi drei Dosen vorgesetzt, in denen jeweils ein Mundschutz steckt. Die rechte scheint den Hund zu interessieren. © Alexandra Schellnegger

Für Sissi, Conny und Co. ist es nur ein Spiel, für die Betroffenen vielleicht die letzte Rettung: Die Hunde von Tierärztin Claudia May aus Röhrmoos können Tumorzellen erschnuppern

Lungenkrebs ist eine besonders heimtückische Krebsart. Erst wenn ein Tumor etwa erbsengroß ist, kann man ihn auf einer Röntgenaufnahme erkennen. Häufig ist es dann schon zu spät, ist die Krankheit nicht mehr heilbar. Außerdem kündigt sich Lungenkrebs nicht frühzeitig durch unangenehme Symptome an, die die Menschen dazu animieren könnten, sich einer Kernspintomographie zu unterziehen oder sich röntgen zu lassen, um sich – wenn auch mittels ungesunder Methoden – untersuchen zu lassen. Das liegt daran, dass es in der Lunge keine Nerven gibt, die Schmerzen verursachen könnten.

Die Schulmedizin hat bisher noch keine Möglichkeit gefunden, Lungenkrebs im heilbaren, dem sogenannten Nullstadium, zu erkennen. Sie kann das einfach nicht. Die Hunde von Claudia May aber, die können das. Sie erschnüffeln die Tumorzellen in der Atemluft.

Sechs Hunde sind auf dem Anwesen der praktizierenden Tierärztin in Röhrmoos zu Hause. Die Schäferhunde Sissi, 4 Jahre alt, Falk (3) und Ira (6 Monate), die beiden Collies Conny (8) und Charly (7), sowie Labradormischling Nina (11). Allesamt sind sie darauf trainiert, ein bestimmtes Stoffwechselprodukt von Tumorzellen zu erschnuppern. Die Genaugkeit ihrer Diagnose liegt bei 90 Prozent.

Ein Hund hat 40 Mal soviele Sinneszellen in der Nase wie der Mensch

Es liegt am exzellenten Geruchssinn der Vierbeiner. Hunde „sehen” die Welt durch ihre Nase. Schäferhunde etwa haben dort 220 Millionen Sinneszellen, 40 Mal so viele wie der Mensch. Außerdem nimmt das Riechzentrum eines Hundes allein zehn Prozent des Gehirns ein, beim Menschen lediglich ein Prozent.

Die Fähigkeit ihrer Tiere hat sich die Veterinärmedizinerin längst zunutze gemacht. Für 48 Euro kann sich jeder auf Krebszellen testen lassen. Wie das funktioniert? Morgens, nach dem Aufstehen, muss für fünf Minuten ein vorher zugesandter Mundschutz getragen werden. Dieser wird dann in einer Dose an Claudia May zurückgeschickt. Nun treten die Supernasen in Aktion. Nacheinander lässt Claudia May ihre Tiere an den Proben schnüffeln. „Besonders für die Schäferhunde ist das wie spielen”, sagt sie. Gerade diese Rasse sei „sehr hoch im Trieb”.

Was das bedeutet, zeigt sich wenig später, als sie „die Sissi”, wie sie ihre Schäferhündin nennt, als sei es eine gute Freundin, in den Raum bittet. Wild von der einen Ecke zur anderen umhertollend, als wäre „die Sissi” auf einem Jahrmarkt aus der Achterbahn gestiegen, springt diese alles an, was nicht umfallen kann – und alles andere auch. Schränke, Menschen, Tische, Fenster.

Auch in Urinproben können die Hunde Krebszellen erschnüffeln

Mit einem Wort hat die Hundehalterin ihre Dame wieder im Griff. „Riech”, heißt das Wort. Und Sissi riecht. Ruhig an der ersten, ruhig an der zweiten Probe. Bei der dritten aber ist sie kaum noch zu halten, kratzt und beißt am Döschen, und Frauchen weiß: „Da muss was Krebsiges sein.” Es ist nur ein Test. Im Ernstfall sollte sich der Absender des Mundschutzes nun genauer untersuchen lassen.

Auf die gleiche Art erschnüffeln Sissi und Co. übrigens auch Brustkrebszellen. Auch in Urinproben könnten sie Tumorzellen, beispielsweise von Blasen, Gebärmutterhals- oder Prostatakrebs erkennen. Claudia May allerdings hat sich auf Lungen- und Brustkrebsdiagnose spezialisiert. „Es wäre sonst einfach zu viel. Außerdem sind die Unfälle beim Versand von Urinproben nicht schön”, sagt sie.

Entdeckt hat die Tierärztin („Für jeden Hundehalter ist es doch das Schönste, mit seinem Tier Geld zu verdienen”) die Diagnostikmethode im Fernsehen. In einer Reportage habe sie gesehen, dass es in Amerika längst anerkannt sei. „Dann war in der Hundeschule Winterpause, und irgendwie wollte ich meine Tiere bespaßen”, meint Claudia May.

50 000 Menschen im Jahr erkranken an Lungenkrebs

Die körperlichen Voraussetzungen bringe erst einmal jeder Hund mit. Auf den Geruch jedoch müsse er trainiert werden. Und „hoch im Trieb” müssten sie sein, sagt die Tierärztin, „sonst haben sie nämlich keine Lust zum Suchen”.

Bei Lungenkrebs liegt die Zahl der Neuerkrankungen bei 50 000 im Jahr. Nach der Diagnose liegt die Fünf-Jahre-Überlebensrate nur noch bei fünf Prozent. Sissi könnte gemeinsam mit Ira, Falk, Conny, Charly und Nina diese Zahl vervielfachen.

Manuel Neumann

Weitere Informationen zu Claudia May, ihren Hunden und den Testmethoden unter www.lungenkrebsdiagnose.com

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