Deutsche Lebenslüge
„Bis neulich“ in der Nürnberger Meistersingerhalle: Volker Pispers bejubelter Satire-Trip zurück in die Zukunft.
Der Mann nimmt sich Zeit. In jeder Beziehung. Unter dem freundschaftlich klingenden Titel „Bis neulich“ führte Volker Pispers mit einer Programm-Mischung „aus Alt und Neu“ in der ausverkauften Meistersingerhalle den Beweis, dass der Grund allen Übels zeitlos ist: zu nennen wären ausschnittsweise Dummheit, Gier und Angstmache. Ein bejubelter, fast drei Stunden dauernder Satire-Trip zurück in die Zukunft zum Auftakt der Burgtheater-Jubiläumssaison.
Auch in Zukunft wird Pispers sich wohl mit dem Überlebenskampf der Ärzte beschäftigen müssen, über den er schon seit 18 Jahren spottet. Manches ist ewig — auch die Lebenslüge der Deutschen, sie hätten sich ihren Wohlstand hart erarbeitet (da waren auch Billiglöhner aus dem Ostblock beteiligt) oder die deutsche Angst, die so unverhältnismäßig ist wie die Mittel, mit der vermeintlich drohendes Unheil verhindert oder bekämpft werden soll. Einiges ändert sich aber, etwa die Sichtweise: So erscheint beim Anblick der US-amerikanischen Schulden die DDR als „solide finanzierter Staat“.
Pispers rechnet und führt vor. Auf Aufgeregtheiten kann er verzichten, auch wenn er sich aufregt über das „raffgierige, asoziale Pack“ von Spitzenmanagern, die Schönfärber, die bald wohl auch von einkommensfernen Schichten reden, die Leute, die über anderer Menschen Verhältnisse Leben. Der Mann im roten Poloshirt ist der Wolf im Schafspelz, dem das Publikum bereitwillig den Hals zum tödlichen Biss darbietet. Denn wer sich wie er etwa fragt, warum Wirtschaftsbosse Strafen zahlen, wenn sie doch unschuldig sind, und die Linke, aber nicht die katholische Kirche Unrechtsvermögen rausrücken soll, der fühlt sich bei Pispers nicht nur wohlig bestätigt, sondern unangenehm angesprochen. Ute Maucher
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