Der Totentanz als Foxtrott
Schwarzhumoriges Thriller-Spiel um Quoten-Queen und Klatschreporter: Viel Beifall für Werner Müllers Inszenierung „Das Interview“ im Fürther Kulturforum
Was soll man von einem Journalisten halten, der beim Interview mit dem führenden Busen-Star des Landes dauernd sehnsüchtig an den abgedankten Ministerpräsidenten denkt? Die Grundkonstellation, die sich der holländische Filmemacher Theo van Gogh und sein Drehbuchautor Theodor Holman für raffiniertes Psycho-Kino ausdachten und die nun auf der Bühne im Fürther Kulturforum unter sarkastisch blitzender Hochspannung in die Irre führt, gibt den Ton an: Kaum zu glauben, aber sehr wahrscheinlich.
In „Das Interview“ wird ein politisierendes Schlachtross von Kriegsberichterstatter als Klatsch-Ersatzmann in die Welt des geschönten Scheins geschickt, also vom Sprengstoff zur Sexbombe versetzt, tritt der stöckelnden Blondine mit der Kompakt-Arroganz der Edelfeder gegenüber und findet in ihr seine Meisterin. Eine, die nicht nur den Gesprächspartner, sondern auch das Publikum am Nasenring durch den Abend führt.
Eines darf man verraten: Die Frage, ob das Silikon von den vielzitierten „Titten“ ins Hirn der schönen Katja gestiegen ist, hat sich bald erübrigt. Sei es, weil die Quoten-Queen des Flachsinns die Verachtung des Journalisten mit Selbstironie pariert (sie führt ihm lippensynchron alle Schluchzervarianten der TV-Soap „RZAZ“, „Reiche Zeiten - Arme Zeiten“, vor) oder wegen der Cleverness, mit der sie den unverführbaren Pierre aus der Gutmenschen-Distanz lockt.
„Wie eine Fassadenmauer, die jeder anpissen darf“, fühlt sich Katja, wo sie doch mit jedem ihrer dämlichen Auftritte „Millionen Zuschauern eine Freude bereitet“, und wechselt die Ernährung im schnell therapeutisch ausufernden Gespräch rasant zwischen Pizza und Kokain. Da hat das ungleiche Zyniker-Paar bereits begonnen, gegenseitig die Narben zu entblößen. Sie trägt die Wunde auf der Seele, er zeigt sie als Souvenir von der Front. Aber das wäre zu einfach. Auch diese Ordnung kippt, noch ehe der Tausch „dunkler Geheimnisse“, auf den man sich zum Finale dieser Verletzungs-Akupunktur einigte, ohnehin alles aufhebt.
Jeder kann sein Lieblingsthema im gut konstruierten, augenzwinkernd deutungsoffenen Stück entdecken. Es geht um den abrüstungsresistenten Kampf zwischen Mann und Frau, auch um schiefe Moral in Kunst und Journalismus, am Ende um einen krachend aufgelösten Schwebezustand der Manipulation zwischen Sein und Schein. Krebskrankheit und Mord geistern munter zwischen den Fronten. Geschrieben ist das mit ruckartigen Entwicklungen, die unbekümmert der Logik entschlüpfen, jedoch in der Klischee-Hochstapelei durchgängig geschickt.
Werner Müllers Fürther Inszenierung setzt auf die kleine Abstraktion, mit der die Dialog-Schlacht den Realismus auf Sichtweite einordnet. Zwischen hohen Vorhängen ist eine schräge Rampe zur Lieferung jeglicher Duo-Dramatik der unmöblierte Schauplatz mit Video-Anschluss. Hier gehen zwangsläufig alle zu Boden, auch wenn sie sich zwischendurch mal lasziv an der Säule räkeln oder den vermuteten Totentanz als Foxtrott mit Ansage anlegen. Das lässt den schwarzen Humor wie ein Irrlicht von Woody Allen funkeln, verschafft der kaltschnäuzigen Verblüffungs-Konstruktion den Nährboden des Absurden. Die Rampe ist auch Abschussrampe.
Esther Kuhn und Herbert Schäfer spielen das ungleiche Paar, das bis zum letzten Moment in knallfroschartiger Dramaturgie aus gesicherten Positionen springen muss, mit großer Lust am doppelten Boden. Jede Geste transportiert ihre Erschütterung gleich mit, jeder Blick grenzt sich von der Überdeutlichkeit der Worte ab. Alle Dramatik ist in dieser Aufführung von Komödiantik geerdet, keine Pointe kommt ohne Schatten daher. Auch für die Zuschauer ein Thriller-Spiel zum Nerven-Wellness. Dafür gab es viel Premieren-Beifall.Dieter Stoll
Nächste Vorstellungen: 9. und 11. Dezember, 13. bis 15. und 20. bis 22. Januar. Karten unter 0911/9742400.
- Themen: