Der Reichsmarschall vergiftete sich - wer war der Todesbote?

AZ-Serie: Nazigröße Hermann Göring war schneller als seine irdischen Richter. Er beging Selbstmord.
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Volksnah, aber ein überzeugter Nazi: Hermann Göring.
ZDF/Conny Klein 3 Volksnah, aber ein überzeugter Nazi: Hermann Göring.
Hermann Göring (mit Sonnenbrille) gab sich auf der Anklagebank meistens sehr lässig.
Stadtarchiv Nürnberg/ Ray D'Addario 3 Hermann Göring (mit Sonnenbrille) gab sich auf der Anklagebank meistens sehr lässig.
Das ist das letzte Foto, das Hermann Göring lebend zeigt. Es entstand kurz vor seinem Selbstmord.
Stadtarchiv Nürnberg/ Ray D'Addario 3 Das ist das letzte Foto, das Hermann Göring lebend zeigt. Es entstand kurz vor seinem Selbstmord.

AZ-Serie: Nazigröße Hermann Göring war schneller als seine irdischen Richter. Er beging Selbstmord.

NÜRNBERG Gemessen an den Sympathiewerten genoss Reichsmarschall Hermann Göring aus der Führungsebene der Nazis in der Bevölkerung den Spitzenplatz. Seine volksnahe Art kam gut an, verwischte aber auch die Konturen des bedingungslosen NS-Schergen, der maßgeblich am Aufbau der Diktatur und der systematischen Verfolgung und Ermordung der Juden beteiligt war. Nach dem Selbstmord Hitlers war er der ranghöchste Nazi, der bei den „Nürnberger Prozessen“ angeklagt wurde.

Angesichts der Vielzahl an Beweisen, die seine mächtige Rolle im Apparat von Partei und Regierung dokumentierten, dürfte er sich von vornherein keine Illusionen darüber gemacht haben, das Tribunal der Siegermächte ungeschoren zu überstehen. Seine Einlassung zu Beginn des Mammut-Prozesses, im Sinne der Anklage nicht schuldig zu sein, hatte mit Blickrichtung auf die übrigen angeklagten NS-Funktionäre bestenfalls symbolischen Wert. Am Ende wurde Göring zum Tode durch den Strang verurteilt.

Dringend verdächtig: der Chef der US-Wachmannschaft

Mit der Begründung, als bedeutender Repräsentant eines Staates nicht wie ein Viehdieb am Galgen enden zu müssen, rechtfertigte Hermann Göring in einem Brief an den Gefängniskommandanten seinen Selbstmord. Wenige Stunden vor der geplanten Hinrichtung wurde der Multifunktionär des Dritten Reichs, der auf Burg Veldenstein groß wurde und in Fürth und Ansbach zur Schule ging, von Krämpfen geschüttelt in seiner Zelle entdeckt. Der sofort herbeigerufene Gefängnisarzt konnte nur noch den Tod Görings feststellen. Er hatte eine Ampulle mit Zyankali zerbissen. Wer der Todesbote war, der ihm das Gift in die streng bewachte Zelle schmuggelte, ist bis heute nicht hundertprozentig geklärt.

Damals, im Oktober 1946, waren die amerikanischen Behörden auf den unbekannten Schmuggler stocksauer. Ausfindig machen konnten sie ihn trotz erheblichen Ermittlungseifers nicht. Ihr Verdacht fiel auf Jack George „Tex“ Wheelis. Er war nicht nur der Chef der Wachmannschaft, sondern hatte sich auch mit Hermann Göring angefreundet. Außerdem hatte er Zugang zu jenem Raum, in dem dessen persönliche Habseligkeiten aufbewahrt wurden.

„Tex“ Wheelis, der wohl befürchtete, aus der Armee entlassen zu werden, wenn er als Lieferant der Giftampulle entlarvt würde, schwieg bis zu seinem Tod im Jahr 1954. 20 Jahre später war es dann seine Witwe, die neues Öl in die Gerüchteküche goss. Sie präsentierte verschiedene wertvolle Gegenstände (Uhr mit eingraviertem Namenszug, Füllfederhalter, goldenes Zigarettenetui) aus Görings Besitz. Ihr Mann, sagte sie, hätte sie von ihm erhalten, weil er ihm einen Gefallen getan hätte. Auch eine Äußerung von Görings Witwe deutet auf Wheelis hin. Sie verriet einem der Ankläger, dass ein Freund der Überbringer gewesen sei.

Die Geschichte mit dem Kaugummi bleibt ein Phantasiegebilde

Nicht weniger ernst zu nehmen ist allerdings auch das „Geständnis“ von SS-General Erich von dem Bach-Zelewski (†1972), der im Kriegsverbrecher-Prozess als Kronzeuge der Anklage auftrat. Auf dem Gefängnis-Korridor, so seine Einlassung, habe er Göring das Gift zugespielt. 1951 lieferte er den US-Behörden als Beweis für seine Glaubwürdigkeit eine zweite Giftampulle ab, deren Glas mit den Glassplittern aus Görings Mundhöhle verglichen wurde. Das Glas war identisch und stammte aus der selben Fabrikationslinie. Staatsanwalt William D. Canfield bestätigte Bach-Zelewski: „Ich bin jetzt geneigt, zu glauben, dass Ihre Erzählung stimmt.“

2005 tauchte dann jedoch auch noch Herbert Lee Stivers (78) auf. Auch er gehörte in Nürnberg zum Wachpersonal, auch er behauptete, der Todesbote gewesen zu sein. Ihm sei ein Füllfederhalter zugespielt worden, in dem sich das Zyankali befunden habe. Das Schreibgerät habe er dann in einem günstigen Augenblick Göring zugesteckt, lautet seine Version.

Als Phantasiegebilde gilt dagegen die Schilderung des österreichischen Journalisten Petermartin Bleibtreu, der die Prozesse mitverfolgte. Er will sich heimlich in den leeren Sitzungssaal geschlichen und die Giftampulle mit Hilfe eines Kaugummis an Görings Sitz befestigt haben.

Helmut Reister

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