"Der König vegetiert wie ein Tier" - Vor 100 Jahren starb Otto I.

27 Jahre war er König: Aber Otto I., Ludwigs jüngerer Bruder, ist der große Unbekannte der bayerischen Geschichte. Vor 100 Jahren, 1916, starb er völlig verwirrt.
Adrian Prechtel |
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Der kranke König Otto I, wird von dem Psychiater Dr. Franz Carl Müller (links) und einem Pfleger betreut.
Verlag St. Michaels Bund Der kranke König Otto I, wird von dem Psychiater Dr. Franz Carl Müller (links) und einem Pfleger betreut.

München - "Es war eine liebe Zeit, die gute, alte Zeit. In Bayern gleich gar. Damals hat noch Seine Königliche Hoheit der Herr Prinzregent regiert, ein kunstsinniger Monarch, denn der König war schwermütig.“ Das erzählte die Stimme von Gustl Bayrhammer 53 Mal von 1968 bis 1972 den Fernsehzuschauern zu Beginn jedes „Königlich Bayerischen Amtsgerichts“. Wer bei „...denn der König war schwermütig...“ an den melancholischen Märchenkönig Ludwig II. denkt, liegt falsch. Gemeint ist „Bayerns unglücklichster König“, Otto I., der mit dem Starnberger Seetod seines Bruders 1886 plötzlich König wurde.

Aber leider hatte Ludwig seinen eigenen Bruder Otto bereits 1878 schweren Herzens entmündigen lassen. Und so regierte nach Ludwigs Tod an Ottos Stelle Onkel Luitpold, im Volksmund wegen der Verwicklung in die Absetzung Ludwigs „Königsmörder“ genannt. So wurde Luitpold aber nur Prinzregent, König blieb offiziell Otto für die kommenden 27 Jahre. Der Münchner Autor, Historiker und Pädagoge Alfons Schweiggert hat die erste Biografie über Otto I. geschrieben und 100 Jahre nach Ottos Tod eine Ausstellung kuratiert. Ottos Schicksal hat viel zur Reputation der noch jungen und umstrittenen medizinischen Wissenschaft der Psychiatrie beigetragen.

Schon mit sieben Jahren psychische Auffälligkeiten

Dabei hatte bei Otto alles ganz harmlos angefangen. Während Bruder Ludwig als 19-Jähriger ins Gästebuch des Schweizerhauses über dem Alpsee romantisch hineindichtete, reimte der 16-Jährige Otto daneben: „Eben trug Fürst Taxis/ Mit Kellner Praxis/ Kaffee und Butter/ Uns zum Futter.“ Aber Gaudibursch Otto hatte schon mit sieben Jahren psychische Auffälligkeiten gezeigt, wie einen Waschzwang. Mit 13 sammelte er regelmäßig seinen Kot in einem Gefäß oder stellte sich auf einem Bein in die Ecke und bellte.

Der Vater Max II. blieb bis zu seinem Tod streng und hielt die Prinzen extrem knapp: So ging Otto eines Tages auf eigene Faust zu einem Zahnarzt, um sich zwei gesunde Backenzähne herausreißen zu lassen, weil er gehört hatte, dass man sie als Implantate gut verkaufen könnte. Die etwas einfältige preußische Königin-Mutter Marie war hingegen ihren Söhnen liebevoll zugetan. Und als später ihr jüngerer Sohn immer stärker in Wahnvorstellungen abglitt, trat sie auf Druck von Beratern zum katholischen Glauben über, um so Ottos Genesung herbeizuführen. Aber das erhoffte Wunder blieb aus.

Otto litt auch an religiösen Zwangsvorstellungen – wie Unzucht mit dem Jesusknaben. Sie gipfelten in seinem Auftritt während des Fronleichnams-Gottesdiensts 1875. Otto war seiner Internierung in Nymphenburg entkommen, im Münchner Dom nach vorne gerannt, hatte sich vor dem Altar niedergeworfen und laut seine Sündhaftigkeit bekannt. Aber trotz massiver Wahnschübe hatte Otto bis in diese Jahr hinein noch Repräsentationspflichten übernommen, die König Ludwig, nicht mehr wahrnehmen wollte: Paraden, Bankette, diplomatische Empfänge und Vertretungen wie bei der Deutschen Kaiserkrönung 1871 in Versailles.

Schlüsselfigur Bernhard von Gudden

Zweimal wollte Ludwig zugunsten seines Bruders Otto abdanken, weil er vom zunehmenden Souveränitätsverlust Bayerns enttäuscht war: nach dem Krieg gegen Preußen 1866 und durch den Einigungskrieg gegen Frankreich 1871. Abgehalten seinem Bruder alles zu übergeben und zu Wagner in die Schweiz zu ziehen, wurde Ludwig aber durch die psychiatrischen Gutachten über Otto, der auch durch seine Kriegserlebnisse als bayerischer Offizier mitgenommen war. Eine ärztliche Schlüsselfigur ist Bernhard von Gudden, den Ludwig als Leiter der oberbayerischen Irrenanstalten berufen hatte und der ab 1876 auch für Otto verantwortlich war. Die Tragik: genau dieser liberale Psychiater, der – wie Ludwig gegen die Anwendung von Gewalt gegen Kranke war – wird 1886 auch Ludwig selbst für „regierungsunfähig“ erklären und damit zu Zwangsabdankung Ludwigs beitragen.

Paparazzi-Fotos eines Wracks schwächen die Monarchie

Vor der Behandlung durch Gudden waren bei Otto therapeutische Mahnreden, religiöses Ins-Gewissen-Reden, Eisduschen, Laugenbäder und Psychopharmaka wie Chloralhydrat und Morphium ausprobiert worden. Aus heutiger Sicht litt Otto vermutlich an einer „paranoid-halluzinatorischen, schizophrenen Psychose“, die zu einer völligen Persönlichkeitsauflösung führte. Warum dieser Zustand auch den Untergang der bayerischen Monarchie mit herbeiführte, machte Ludwig Thoma 1907 klar: Die Monarchie braucht einen sichtbaren Repräsentanten. Ein König, der dem Volk völlig entzogen wird, den nur Paparazzi heimlich in seinem Internierungsschloss Fürstenried abschossen, schadet dem System. Prinzregent Luitpold war nur Stellvertreter Ottos. Als Luitpold 1912 starb, ließ sich sein Sohn als Ludwig III. zum König machen, obwohl Otto bis 1916 noch lebte: ein Verfassungsbruch.

Und so nahmen die Bayern ihre Monarchie – in der der eigentliche König „wie ein Tier dahin vegetierte“ – nicht mehr richtig ernst.


König Otto I., ein langes Leben im Schatten

7.4.1848: Prinz Otto kommt zwei Monate zu früh auf die Welt.
1861: Otto wird an seinem 13. Geburtstag Unterleutnant
1864: militärische Ausbildung. Mit dem Tod des Vaters Max II. wird Ottos Bruder Ludwig König von Bayern.
1865: Ludwig will zugunsten seines Bruders Otto abdanken. Bei Otto wird „Jugendirresein“ diagnostiziert
1866: Otto tritt in den aktiven Militärdienst ein und kämpft mit Österreich für Bayern gegen Preußen. Otto erfüllt in den nächsten Jahren Representationspflichten, die Ludwig II nicht mehr erfüllen will
1870/71: Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg. Otto bekommt massiv Psychopharmaka
1872: „Milde Isolierung“ in Schloss Nymphenburg
1875: Psychiater Gudden erstellt Gutachten. Otto legt einen bizarren „Sündenbekenntnis“-Auftritt in der Frauenkirche hin.
1878: Entmündigung durch Ludwig II.,
1883: Internierung in Schloss Fürstenried.
1886: Mit dem Tod Ludwig II. wird Otto König. Es regiert aber Prinzregent Luitpold.
1912: Tod des Prinzregenten. Sein Sohn läst sich zum König Ludwig III. proklamieren
11.10. 1916: Otto stirbt an einer Darmverschlingung

 


 

Die Ausstellung und das Buch

Die Biographie: Alfons Schweiggert: „Bayerns unglücklichster König: Otto I. der Bruder Ludwigs II.“ (Verlag St. Michaelsbund)

Die erste Ausstellung zu König Otto I. eröffnet am 12. Mai und ist in Benediktbeuern bis zum 12. Juli im Maierhof des Klosters zu sehen. Vernissage: 12. Mai, 18 Uhr. Kurator der Ausstellung ist der Autor, istoriker und Pädagoge Alfons Schweiggert.

Begleitveranstaltungen:
Do, 9. Juni, 19 Uhr, Buchhandlung Lesetraum, Herzog-Wilhelm-Str. 5: Buchpräsentation der Biographie über Otto I. mit Alfons Schweiggert. Anmeldung: Tel. 23225 420
Mo, 20. Juni, 18.30 Uhr: Hans Förstl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München zu „Ottos Krankheit und Münchens Psychiatrie“, Vortragssaal des Bayerischen Haupt-Staatsarchivs, Schönfeldstr. 5

Veranstaltungen zur Ausstellung in Benediktbeuern: So, 5. Juni, 16 Uhr: Hadumod Bußmann, Biographin der Prinzessin Therese: „IHN oder KEINEN – Die Liebe der Wittelsbacher Prinzessin Therese zu ihrem Vetter Prinz Otto“. Am Sa, 11. Juni, 17 Uhr: Cajetan von Aretin: „König Otto und die Prinzregentenschaft in Bayern. Not und Notwendigkeit“ So, 19. Juni, 16 Uhr: Matthias M. Weber, Leiter des Historischen Archivs des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München über „König Ottos Aufenthalt in Schloss Fürstenried und die bayerische Psychiatrie“.

Anmeldungen zu den Vorträgen in Benediktbeuern unter Tel.  08857 / 88 850 und es gibt jeweils eine Abendkasse

 

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