Der Hofnarr im Klärwerk

NÜRNBERG - Start der 24. Nürnberger Kabarett-Tage: Nach Maria Peschek legte Mathias Tretter einen Giftzahn zu.
Der Wiener Kabarett-Star Josef Hader war da, das Münchner Comedy-Unikum Arthur Senkrecht und andere Großkleinkünstler auch. Wo der Humor-Durhlauferhitzer auf vollen Touren und vielen Bühnen läuft, verliert auch eine Traditionsveranstaltung wie die Nürnberger Kabarett-Tage 24 Jahre nach ihrer Erfindung ihren Exklusiv-Charakter. Nicht mehr von „Auslese“ ist jetzt im endlosen Spötter-Boom die Rede, sondern bescheiden von „Querschnitt“. Beim Festival-Start im Burgtheater wurden erste Schichten freigelegt. Und Steilaufsteiger Mathias Tretter legte beim Generationssprung nach Maria Peschek (einzige Fachfrau im Paket mit Lücken im Parkett) schnell einen Giftzahn zu.
Apropos Zahn der Zeit: Der eine ist seiner Zeit voraus und malt sich überall herumwimmelnde Senioren-Studenten aus, die bei Memory oder Mikado (je nachdem wie die Medikamente eingestellt sind) Pläne für die Vergangenheit schmieden. Die andere beobachtet als Mittfünfzigerin beim Gedächtnislückentest zunehmend „Dings-Gespräche“, fasst die bewundernde Feststellung, wie man sich so viel Text merken kann, inzwischen nicht mehr als Attacke gegen die Berufsehre auf und stellt fest: „Ich will nicht auf der Bühne sterben.“
Zum Totlachen taugt das schauspielerisch sorgsam balancierende Solo der Münchnerin Maria Peschek nicht. „Und wer ist schuld?“ ist eine bitterwitzioge Zwischenbilanz von einer, die das Ratschn-Image abgestreift hat und nun mühsam durchs Leben stöckelt. „Wer barfuß geht, den drücken keine Schuh“ nennt sie als Beispiel dafür, wenn man noch freie Wahl zwischen Altersweisheit und Demenz hätte. Aber so bleibt nur der Trost mit den „Internet-Gschäftln“ und das Bewusstsein für verloren gegangene Werte (prophylaktische Prügel – das war noch was!). Also malt sich die Peschek am Ende die Welt, wie sie ihr gefällt: Live auf die Leinwand. mit Lieblingsproblemen auf Zuruf – eine listige Gruppen-Therapie.
Den „Hofnarren für den Antichristen“, also die führenden BWL-Versager, möchte auch Mathias Tretter nicht um jeden Preis spielen. Aber für 1000 Euro im Selbstfindungs-Seminar („Ich bin ein Witz“) sieht das der Satire-Dienstleister nicht so eng. Nach ungefährer Aufwärmphase mit Heizpilz und Polit-Brennstoff tritt Tretter in „Staatsfeind Nr. 11“ gezielt und wortgewandt um sich. Der Würzburger, der nach Leipzig umgezogen ist, zieht die fränkelnde Pelzig-Dialektspur in die neue Umgebung, wo braune „Heil!-Praktiker“, sächsische Kundenkarten-Verhöre und Feinschmecker-Getue das Bewusstsein trüben. „Der Deutsche besteht zu 90 Prozent aus Wasser“, weiß er, „der Rest ist Vergangenheit“. Also kippt er alles in sein schäumendes Klärwerk: die RAF und die „Peking-Rente“ samt „Gelber Gefahr“, Mehdorn (Appollinaris für die Verspätung) und Manager. Eine Gegenwehr mit Praxisbezug: An der Mediamarkt-Kasse solle man dem Kundenbefrager die Postleitzahl „01814“ nennen. Damit auch Reinhardtsdorf-Schöna sein Wirtschaftswunder erlebt. Andreas Radlmaier
Die nächsten Auftritten: Frank Lüdecke (Do.), Thomas Schreckenberger (Fr.), Volkmar Staub (Sa) und Podewitz (So.), Karten unter Tel. 222 728