Der Angeklagte schweigt: Prozess im Mordfall Hanna (†23) aus Aschau gestartet

Traunstein - Man stelle sich vor, man geht mal eben zum Bäcker oder an die Tankstelle, und trifft dort auf die Eltern des mutmaßlichen Mörders der eigenen Tochter. Was wie ein Albtraum klingt, ist Realität für die Eltern der getöteten Hanna W. (†23) aus Aschau. Deren Rechtsanwalt Walter Holderle sagt der AZ: "Da gab es tatsächlich Begegnungen."
Denn die Familie des Opfers lebt ebenso wie die Familie des mutmaßlichen Täters in dem kleinen Dorf, sogar nur wenige Hundert Meter voneinander entfernt. Man kannte sich wohl vom Sehen.
Die Studentin Hanna wollte vom "Eiskeller" in Aschau nach Hause – und kam dort nie an
Hanna war in der Nacht zum 3. Oktober vergangenen Jahres mit Freunden im Aschauer "Eiskeller", einem Nachtclub, der sich großer Beliebtheit erfreut. Sie wohnte nur 800 Meter entfernt und machte sich nachts allein auf den Nachhauseweg. Was kann auf 800 Metern schon passieren? Viel, sogar sehr viel, wie man heute weiß.
Am Landgericht Traunstein wird seit Donnerstag der Mordprozess verhandelt. Hanna wurde in jener Nacht gegen halb drei überwältigt und laut Staatsanwaltschaft mit einem "stumpfen Gegenstand" gegen den Kopf geschlagen und stranguliert, bevor sie der Täter in den Bärbach geworfen hat.
Hannas mutmaßlicher Mörder nimmt den Prozess reglos hin
Die Medizin-Studentin soll nur noch vier bis fünf Minuten gelebt haben, bevor sie, von den Verletzungen bewusstlos, ertrunken ist. Der Angriff sei "aus sexuell motivierten Gründen" erfolgt. Erst Stunden später wurde die Leiche entdeckt. Zwölf Kilometer trieb sie erst den Bärbach, dann die Prien hinunter, bevor sie im Ortsteil Kaltenbach in Prien am Chiemsee angespült wurde.
Der junge Mann, Sebastian T., der aus Sicht der Staatsanwaltschaft Hannas Mörder ist, wirkt unscheinbar: Der 21-Jährige ist keine 1,70 Meter groß, trägt einen "Undercut" und starrt vor sich hin. Er versteckt sich nicht hinter Ordnern, als zahlreiche Kameras der Presse auf ihn gerichtet sind. Eher reglos nimmt er auch die Verhandlung, die die Vorsitzende Richterin Jacqueline Assbichler leitet, hin. Während der mehrstündigen Sitzung wechselt er nicht einmal seine geduckte Position, die verschränkten Hände auf den Tisch aufgestützt.
Richterin Jacqueline Assbichler appelliert an den Angeklagten, auszusagen
Seine Verteidiger machen gleich zu Beginn klar: Sebastian T. wird nach derzeitigem Stand nicht aussagen. Auch seine Eltern und seine Schwester werden vor Gericht nicht sprechen, sie machen von ihrem Aussageverweigerungsrecht als Angehörige Gebrauch.
An den Angeklagten appelliert Assbichler, noch einmal darüber nachzudenken. In einem Indizienprozess, auf den das Verfahren hinauslaufe, werde immer "die Motivation, die besondere Situation fehlen. Das ist wie ein Puzzle." Assbichler erklärt, dass sich das Gericht ein Bild davon machen müsse, was für ein Kind er gewesen, was für ein Mensch er sei. Oder auch eine Antwort finden müsse auf die banale Frage, warum T. mitten in der Nacht in der Dunkelheit joggen ging.
Hannas Eltern wollen Gewissheit: Warum musste ihre Tochter sterben?
Die Familie von Hanna will Antworten auf die Fragen, was in jener Nacht geschehen ist und warum ihre Tochter sterben musste. Sie treten als Nebenkläger auf, wollen laut Anwalt Holderle an jedem Verhandlungstag teilnehmen. Nur auf den Teil, in dem es um die Obduktion geht, wollen sie verzichten.
Wie tief getroffen sie sind, kann man in ihren Gesichtern lesen. Bei Hannas Mutter laufen immer wieder die Tränen. Sie hält fest die Hand von Hannas Vater. Beide müssen auch die vielen Zufälle aushalten: Dass Hanna eigentlich schon wieder zurück an der Uni sein wollte. Dass sie mit einem Freund heimgehen wollte, der aber noch mal nach seiner Freundin schaute. Dass sie daher allein aufbrach, vermutlich noch daheim anrief, als die Situation brenzlig wurde, das Handy aber keine Verbindung herstellen konnte. 800 Meter – sie waren für Hanna tödlich.