Das Tribunal gegen die Nazis - in Hitlers Lieblingsstadt

Die Nürnberger Prozesse ware ein Verfahren der Superlative: Tonnen von Beweisen, hunderte Zeugen, eine Milliarde Euro teuer.
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In Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage,  hatte Adolf Hitler seine großen Auftritte.
dpa In Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage, hatte Adolf Hitler seine großen Auftritte.

NÜRNBERG - Die Nürnberger Prozesse ware ein Verfahren der Superlative: Tonnen von Beweisen, hunderte Zeugen, eine Milliarde Euro teuer.

Nur ein halbes Jahr nach der Kapitulation des „1000-jährigen Reichs“ im Mai 1945 mussten sich die einst so mächtigen Repräsentanten des NS-Regimes vor Gericht verantworten. Die Weichen für die Nürnberger Prozesse, die eine neue juristische Dimension des Völkerrechts schufen, wurden zu einer Zeit gestellt, als Adolf Hitler noch an den Endsieg glaubte, in Wirklichkeit aber militärisch bereits mit dem Rücken an der Wand stand.

Amerikas Präsident Franklin D. Roosevelt, der sowjetische Staatschef Josef Stalin und der britische Premier Winston Churchill waren sich schon im Herbst 1943 einig, die Kriegsverbrechen des NS-Staates zu ahnden – und die Verantwortlichen zu bestrafen. Sie unterschrieben die Moskauer Deklaration und setzten eine Kommission ein, die damit anfing, Beweismaterial zu sammeln. Die genauen Grundregeln für das Gerichtsverfahren, das am 20. November 1945 begann, legten die vier Siegermächte im „Londoner Abkommen“ allerdings erst drei Monate vor dem Prozessauftakt fest.

Eine Million Namen standen auf den Fahndungslisten

Historiker sehen die Wahl der Siegermächte, Nürnberg zum Schauplatz des spektakulären Verfahrens zu machen, meist von der pragmatischen Seite. Das Justizgebäude an der Fürther Straße sei bei den Bombardements weitgehend unzerstört geblieben und groß genug, um die Durchführung zu ermöglichen, argumentieren sie. Beeinflusst wurde die Entscheidung aber auch dadurch, dass Hitlers Lieblingsstadt Nürnberg von besonderer Symbolkraft bei der juristischen, von der Weltöffentlichkeit verfolgten Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen war. Hier fanden die gigantomanischen Reichsparteitage statt, hier entstanden die „Nürnberger Gesetze“, die die Grundlage für den Holocaust legten, hier agierte der exponierteste aller Judenhasser, Gauleiter Julius Streicher.

Während die Vorbereitungen für den Prozess liefen, suchten die „special agents“ aus den Geheimdiensten der vier Siegermächte (USA, Russland, England, Frankreich) im kollabierten Reich nach den „Big Nazis“. In der Literatur wird das systematische Durchkämmen des zerstörten Deutschland oft als „die größte Menschenjagd der Geschichte“ bezeichnet. immerhin standen eine Million Namen auf den ständig umfangreicher werdenden Fahndungslisten.

Das Sitzungsprotokoll füllt 16.000 Seiten

Organisatorisch stellten die Nürnberger Prozesse alle bis dahin gelaufenen Strafverfahren in den Schatten. Die zusammengetragenen Akten, mit deren Hilfe die Schuld der Angeklagten belegt werden sollte, wogen viele Tonnen. Allein das Sitzungsprotokoll der Auftaktverhandlung (218 Tage) bestand aus vier Millionen Wörtern, füllte 16.000 eng beschriebene Seiten und musste in vier Sprachen übersetzt werden. Die Anklagevertreter legten außerdem noch 2360 Beweisdokumente vor, die Verteidigung mit 2500 noch mehr.

Das Gericht hörte die Aussagen von 240 Zeugen und prüfte rund 300.000 eidesstattliche Erklärungen. Die notwendigen Umbauten im Justizgebäude kosteten nach heutigem Wert etwa eine Million Euro, der ganze Prozess, einschließlich der Fahndung, rund eine Milliarde. Die Finanzierung und Logistik übernahmen die USA. Klaus Kastner, Historiker und intimer Kenner der damaligen Verhältnisse: „Ein anderes Land hätte das gar nicht bewältigen können.“

„Wir müssen unglaubliche Ereignisse durch glaubwürdige Beweise festhalten.“

Der Triumph, Adolf Hitler als leibhaftigen Ausdruck des Bösen auf der Anklagebank des Internationalen Gerichtshofs präsentieren zu können, war den Siegermächten nicht vergönnt. Hitler war tot, er hatte Selbstmord begangen. So wie Propagandaminister Joseph Goebbels und Heinrich Himmler, der gefürchtete Chef der SS und der Gestapo.

Robert H. Jackson, Richter am Obersten Bundesgericht der USA, wurde von Präsident Harry Truman in Abstimmung mit den anderen Siegermächten zum Chefankläger bestimmt. Seine Aufgabe beschrieb er vor dem Prozess überaus treffen mit einem einzigen Satz: „Wir müssen unglaubliche Ereignisse durch glaubwürdige Beweise festhalten.“ Helmut Reister

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