Das Rotkehlchen singt auf der Palme

MÜNCHEN - Es ist gerade mal Anfang März, und im Forstenrieder Park gab’s schon den ersten Waldbrand des Jahres, die Stare zwitschern bereits wieder in den Vorgärten, und Allergiker niesen schon seit Wochen die Taschentücher voll. Schuld ist der Klimawandel.
Dass der Temperaturanstieg um 0,9 Grad im vergangenen Jahrhundert mehr bedeutet, als dass die ersten Nackerten schon im Februar an der Isar liegen, ist klar. Nur: Was genau kommt auf uns zu? Was hat sich schon geändert, und worauf müssen wir uns einstellen? Zum Tag des Artenschutzes hat sich die AZ schlau gemacht.
Tierwelt: Zugvögel ändern ihre Routen und kommen früher aus ihren Winterquartieren. „Die Mönchsgrasmücke etwa überwinterte früher in Spanien, heute genügen ihr die Temperaturen in England“, sagt Annette Menzel, Ökoklimatologin an der TU München. Ebenfalls neu: Zugvögel werden sesshaft, etwa das Rotkehlchen.
Dazu kommen Einwanderer aus dem Süden: „Der Bienenfresser, ein Vogel, den es früher kaum bei uns gab, wird jetzt viel häufiger beobachtet“, sagt Menzel. Das gleiche gilt für die Feuerlibelle. Auch Schlangen und Eidechsen zieht’s ins warme Bayern. Zaun- und Smaragdeidechsen seien jetzt schon zu sehen, sagt Thomas Schreder, Wildbiologe beim Bayerischen Jagdverband.
Dummerweise bevorzugen auch viele Schädlinge hohe Temperaturen. „In warmen Jahren, etwa 2003, setzte der Borkenkäfer drei Generationen“, sagt Menzel, die als Mitglied einer internationalen Forschergruppe an der Klimastudie 2007 mitschrieb.
Auch neu: Durch Zecken übertragene Krankheiten kommen in Zukunft weiter im Norden und in höheren Lagen vor, denn die Wärme liebenden Zecken können dann auch dort leben.
Es gibt aber auch Tierarten, die es gern ein bisschen kühler hätten: Birk- und Auerhahn zum Beispiel. „Die gibt es schon heute kaum mehr, und für sie wird es in Zukunft noch enger“, sagt Schreder.
Paradox: Anderen Viecherln wird es trotz Klimaerwärmung zu kalt bei uns: „Viele Pflanzen wachsen durch gute Düngung im Frühling schneller und dichter. Dadurch wird es in Bodennähe kühler“, erklärt Josef Reichholf von der Zoologischen Staatssammlung. Betroffen seien davon etwa der Segelfalter oder der Schwalbenschwanz. Auch Großinsekten stehen auf warmes Klima in Bodennähe. Wiedehopf und Blauracke (eine Krähenart) seien ebenfalls vom Aussterben bedroht.
Pflanzen: Für sie ändern sich Verbreitungsgebiet und Vegetationsperiode. Die Blüte beginnt früher, im Herbst fallen später die Blätter. Gleichzeitig ziehen viele Arten um in höhere Lagen. „Pro hundert Meter nimmt die Temperatur um 0,6 Grad ab, so sollte ein Temperaturanstieg von einem knappen Grad bereits Verschiebungen von über 100 Höhenmetern zur Folge haben“, sagt Menzel.
Problematisch wird’s vor allem für Pflanzen, die schon immer hoch oben wuchsen. Die werden allmählich vertrieben von den „Einwanderern“ von unten. Bestes Beispiel: das Alpenmannsschild mit seinen sternförmigen lila Blüten, das in den letzten zehn Jahren zunehmend verschwand.
Auch Fichten und Tannen kommen mit den Klimaveränderungen nicht gut zurecht, weshalb Forstminister Josef Miller (CSU) fremde Baumarten importieren will. Die Douglasie etwa wächst an geeigneten Standorten doppelt so schnell wie gängige Nadelbäume. In Bayern wird vor allem die Grüne Küstendouglasie angebaut – mittlerweile bereits auf 14000 Hektar.
Auch Palmenarten könnten bei uns heimisch werden: Einst umhegte Gartenpflanzen am Lago Maggiore, schafften die Palmen jetzt den Sprung in die freie Natur, in die angrenzenden Wälder.
Und noch ein (gar nicht willkommener) Gast hat den Weg nach Bayern gefunden: „Insbesondere die Ambrosia zeigt in den letzten Jahren eine starke Ausbreitung in Europa, die u.a. auch einen klimatologischen Trend widerspiegelt“, sagt Dr. Klaus Bucher vom Deutschen Wetterdienst. Vor allem entlang der A8 hat sich das Gewächs, das Allergikern Niesanfälle beschert, breit gemacht.
Überhaupt: Wer empfindlich auf Pollen reagiert, leidet bald ganzjährig. Die Pollen fliegen früher, länger, und sogar die Pollenmenge nimmt zu! Im März fliegen vor allem Hasel- und Erlenpollen, in der zweiten Monatshälfte dann auch Pappel-, Weiden- und Eschen-Pollen. Der einzige Monat in Süddeutschland, in dem so gut wie gar keine Pollen fliegen, ist der November.
Landwirtschaft: Auch die Bauern experimentieren mit neuen Pflanzen. „Versuchsweise wird auf ein paar tausend Hektar die Sorghum-Hirse angebaut, die aus dem Sahel stammt und keine Probleme mit Hitzeperioden hat“, sagt Ewald Sticksel von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft.
Einheimische Pflanzen wie Weizen, Gerste oder Roggen reagieren dagegen auf ansteigende Temperaturen mit Ertragsrückgängen. „Sie wachsen schneller, die Ernte wird aber weniger“, erklärt Sticksel. Und sie findet früher statt. Folge: Auf vielen Feldern kann eine zweite Kultur angebaut werden.
Dazu kommt die Rückbesinnung auf alte, fast vergessene Pflanzen, etwa die Luzerne, eine sehr trockentolerante Futterpflanze. Und: Frosttoleranz spielt bei Züchtungen eine immer geringere Rolle.
Daniela Transiskus