Das Phantom der Operette
Gute Absichten, doch schlechte Aussichten: Das britische Musical „Blutsbrüder“ enttäuscht in der Tafelhalle mit wohlmeinender Haltung, weinerlicher Lyrik und dem Tod als Knalleffekt
Die Musik grummelt wie das Schicksal persönlich aus der Dunkelheit und Wort für Wort buchstabiert ein bedächtiges Laufband schon mal, wie ungerecht die Welt im Allgemeinen und die folgenden drei Stunden insbesonders sind. Man kann sich also gleich auf Depressionen einrichten. In Willy Russells Musical „Blutsbrüder“, das vor knapp drei Jahrzehnten in die Reihe der vor allem durchs britische Kino angenehm auffälligen Sozial-Komödien gestellt wurde und inzwischen in London sein Comeback feiert, geht es um „die Verhältnisse“, nicht so sehr um den Tod von zwei jungen Männern. Auch die Tafelhallen-Inszenierung von Klaus Kusenberg zeigt ihn bloß als Knalleffekt mit Auferstehung – samt der weinerlich kokett hingepappten Song-Lyrik: „Sagt es ist nicht wahr / Sagt es ist Theater / Alles nur gespielt“. Kann man für die Nürnberger Fassung gern bestätigen: Es ist nur Theater, recht und schlecht.
Da reimt sich "so" schön auf "Monroe"
Mrs. Johnstone ist eine wackere Frau, auch wenn ihr Tick mit der kultigen Hollywood-Blondine nervt. Dauernd sieht sie sich (Achtung: phonetischer Reim!) „so wie die Monroe“, tanzt aber wie die Conny mit dem Peter. Dann wird sie fünffache Mutter sowie alleinerziehender Sozialfall, unter ihren Kindern ist ein Bösewicht (unverkennbar: er holt nämlich „Stütze“ und macht Überfälle) und von den folgenden Zwillingen gibt sie unter verschwörerischem Geheimpakt einen ab an ihre reiche Arbeitgeberin, welche kinderlos und zickig ist.
Da endlich geht das Stück los, denn nun wird eine schmachtfetzige Sketch-Studie draus: Wie entwickeln sich Zwillinge, wenn sie in verschiedenen gesellschaftlichen Schichten aufwachsen? Erraten: Unterschiedlich! Aus dem Grundschüler wird ein Blaumann-Malocher, aus dem Oxford-Studenten ein Stadtrat. Da bleibt der Neid des Zuschauers überschaubar. Zum Glück siegt die Gerechtigkeit, denn tot sind bekanntlich alle gleich.
Die Realität ergibt eine Kernseifen-Oper
Klaus Kusenberg nimmt das mächtig gealterte Stück ohne Vorbehalt an und ist mit dieser wohlmeinenden Haltung sogleich auf verlorenem Posten. Der schwerfällige Balladen-Ton, den der komponierende Autor mit heimlichen Blicken zu Übervater Stephen Sondheim anschlug, legt sich bleiern über platte Szenchen, in denen kernseifiger Schaum aus der Realität geschlagen wird. Statt pointierter Verknappung gibt es in den wendigen Bühnenbild-Teilen von Günter Hellweg gedehntes Kindertheater, vergleichbar mit der ähnlich ausufernden „Piaf“-Halbdoku neulich in der Kongresshalle, die freilich die deutlich besseren Songs hatte.
Elke Wollmann war und ist hier wie dort in der Hauptrolle ein musikalisches Ereignis. Schauspielerisch wird sie diesmal kaum gefordert, mimt ein bisschen Glucke und ein wenig Emanzipation mit Schürze. Als getrennte Zwillinge und vereinte Blutsbrüder, die sich immer wieder magisch finden, bleiben Marco Steeger und Thomas L. Dietz – auch wenn sie allerliebst an jedem Laufstall rütteln – in den vorgestanzten Schablonen gefangen. Und Frank Damerius zwinkert als Moderator mit Dämonen-Zuschlag den kleinen Mephisto-Blick in die absehbare Handlung, wo Kolportage in Sentimentalität badet.
Lebende und Tote stehen Spalier
Bettina Ostermeier und ihre Band, die erst bei der Zugabe zu sehen sind, wirbeln die vom Verfallsdatum bedrohte Gebrauchsmusik in aufgehübschten Arrangements ganz geschickt hoch. Am Ende stehen alle Lebenden und Toten zur Frontal-Hymne bereit – als hätte Andrew Lloyd Webber schnell noch das Phantom der Operette nach Nürnberg geschickt. Da kann es nur rauschenden Beifall geben. Dieter Stoll
Weitere 27 Aufführungen bis 23. Juli in der Tafelhalle. Karten unter Tel. 0911/ 01805 231600
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