Das Horrorheim von Schliersee: Sind hier Senioren verhungert?

Über Jahre sind Bewohner in einer Einrichtung in Schliersee offenbar massiv vernachlässigt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt – und lässt Tote exhumieren. Die Details – und was der Landrat sagt.
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Die Seniorenresidenz am Schliersee.
Die Seniorenresidenz am Schliersee. © Peter Kneffel/dpa

München - Es sind ekelerregende, schreckliche und unvorstellbare Zustände, die unter anderem Andrea Würtz dem BR geschildert hat. Sie war für das Miesbacher Gesundheitsamt vergangenes Jahr mehrmals in der Schlierseer Seniorenresidenz, die wegen Coronafällen und auch einem sexuellen Übergriff unter Bewohnern in die Schlagzeilen geraten war – auch die AZ hatte berichtet.

Würtz erzählt dem BR von einer alten, abgemagerten Frau, deren Hände mit Kot verschmiert waren, ihre Füße wundgelegen. Von einem Mann, der offene Beine hatte, aus denen Blut und Eiter auf den Boden tropften – wegen der unversorgten Wunden. Personal erlebte sie angetrunken, Bewohner halb verhungert und verdurstet.

Verwahrloste Senioren, unhaltbare Zustände?

Auch Angehörige von ehemaligen Heimbewohnern schildern dem Sender solche Zustände der Verwahrlosung. Ein ehemaliger Bewohner sagt, Menschen hätten stundenlang in ihren Ausscheidungen sitzen müssen. Im Mai 2020 eskaliert die Situation in dem Heim, das die italienische Firma "Sereni Orizzonti" betreibt. Bundeswehrsoldaten rücken zur Unterstützung des Personals an, um nach den Coronafällen die Versorgung der Bewohner zu gewährleisten.

Wegen des Verdachts auf Körperverletzungsdelikte bei 88 Bewohnern ermittelt die Staatsanwaltschaft München II. Es habe in dem Heim verwahrloste und unterernährte Personen gegeben, bestätigt Karin Jung, Sprecherin der Anklagebehörde, am Mittwoch. Geprüft werde nun, wer hierfür verantwortlich sei.

Die Ermittler untersuchen 17 Todesfälle

Zudem würden – wie zunächst der Sender BR berichtete – auch 17 Todesfälle untersucht. Dabei gehe es darum, die Todesursache festzustellen. Laut BR gehe es um den Verdacht, die Bewohner seien an Unterernährung gestorben. Um das zu klären, seien bereits zwei Verstorbene exhumiert worden.

Die Ermittlungen beziehen sich laut Jung auf einen Zeitraum von mehreren Monaten bis Mai vergangenen Jahres. Damals war das Gesundheitsamt des Landkreises Miesbach aufmerksam geworden, nachdem es binnen weniger Tage – zwischen 3. und 6. Mai 2020 – sieben Sterbefälle mit oder an Covid-19 gab. Die Ermittlungen richten sich laut Staatsanwaltschaft gegen vier Personen, darunter eine ehemalige Einrichtungsleitung.

Der Heimbetreiber kündigt Stellungnahme an

Der derzeitige Leiter der Seniorenresidenz Schliersee, Robert Jekel, kündigte eine Stellungnahme zu den Berichten an. Man werde sich selbstverständlich mit den erhobenen Vorwürfen "professionell beschäftigen".

Was jetzt durch die BR-Recherche außerdem ans Licht kommt: Angehörige und Angestellte des Heims hatten schon seit Jahren Missstände in der Einrichtung bei der Heimaufsicht im Miesbacher Landratsamt gemeldet – doch diese ging nicht allen Beschwerden nach und nahm gar nicht alle auf. Der Miesbacher Landrat Olaf von Löwis (CSU) räumt das gegenüber dem BR ein.

Und ja: Das Heim gibt es trotz allem immer noch, es ist weiterhin geöffnet. Die Betreiberfirma aus Italien sucht weiterhin Pflegepersonal und wirbt in einer Stellenausschreibung in Großbuchstaben damit, dass das Heim ein "seit vielen Monaten zu 100 % Covid-19-freies Haus" sei. Das bestätigt Jekel, seit Juli vergangenen Jahres sei die Seniorenresidenz corona-frei.

Warum wurde das Heim nicht geschlossen?

Nun drängt sich bei all den entsetzlichen Vernachlässigungen die Frage auf: Konnte oder wollte man das Heim nicht schließen? Laut BR sei dies im Mai 2020 geplant gewesen. Doch Landrat Löwis, selbst erst seit 1. Mai vergangenen Jahres im Amt, entschied sich lediglich, einen Aufnahmestopp zu verhängen.

Er sagt dem BR, er habe kein juristisches Instrument, das Heim zu schließen. Ein Verwaltungsrechtsprofessor widerspricht dem beim BR, sagt, der Landrat habe eine Schutzpflicht gegenüber den Bewohnern. Wie der Sender weiter berichtet, sei Ende Februar zum zweiten Mal das Landratsamt in Miesbach im Zusammenhang mit den Vorfällen in der Seniorenresidenz durchsucht worden, ebenso habe es Hausdurchsuchungen bei den vier Beschuldigten gegeben.

Die Polizei habe über 100 Zeugen zu der Sache befragt, auch Andrea Würtz, ehemalige Mitarbeiterin des Gesundheitsamts. Sie sagt: "Ich verstehe nicht, wie so ein Heim in Deutschland überhaupt existieren darf." Und die Betreiberfirma? Im BR-Interview sagt der Pressesprecher des Unternehmens, Vittorio Pezzuto, die Heimaufsicht habe die Seniorenresidenz Schliersee nicht geschlossen: "Das ist ein Zeichen dafür, dass wir alle Standards einhalten."

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5 Kommentare
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  • Le Bavarois am 25.03.2021 01:09 Uhr / Bewertung:

    Dass es bei den öffentlichen Trägern " noch schlimmere Zustände" gäbe ist eine glatte Lüge. Andernfalls nennen Sie Namen!

  • köterhalsband am 24.03.2021 18:53 Uhr / Bewertung:

    Sind die armen Menschen an oder mit Corona verhungert?

  • Sarah-Muc am 24.03.2021 17:22 Uhr / Bewertung:

    Wundert mich alles nicht! 2 oder 3 mal Betreiberwechsel - von einer
    Holding zur nächsten!!! Wie man Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime
    dem Kapitalmarkt übergeben kann ist mir ein Rätsel. Da fliessen Sozialbeiträge
    an Aktionäre - da hat das Geld nichts verloren!!! Das geht alles auf Kosten der
    Löhne und der Betreuung der Insassen.

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