Crash-Kurs für die neuen Bürgermeister

»Sie sind jetzt kein normaler Mensch mehr«: Wie in drei Tagen Rathaus-Chefs ihren Job lernen. Der Bayerische Gemeindetag bietet in Kloster Irsee Nachhilfe in Sachen Bürgermeister an. Eine gute Sache, wie alle Teilnehmer finden.
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Das regierende Klassenzimmer: In Raum 227 im Kloster Irsee versammeln sich Bayerns neue Rathaus-Chefs.
Mike Schmalz Das regierende Klassenzimmer: In Raum 227 im Kloster Irsee versammeln sich Bayerns neue Rathaus-Chefs.

»Sie sind jetzt kein normaler Mensch mehr«: Wie in drei Tagen Rathaus-Chefs ihren Job lernen. Der Bayerische Gemeindetag bietet in Kloster Irsee Nachhilfe in Sachen Bürgermeister an. Eine gute Sache, wie alle Teilnehmer finden.

VON VOLKER TER HASEBORG

Das Barockkloster Irsee gäbe für alle Bürgermeister Bayerns ein herrliches Rathaus ab. Ihre Besucher könnten sie im Kapitelsaal empfangen – mit seinen kostbaren Stuckdekorationen und Deckengemälden. Ihre Dienstanweisungen könnten sie im ehemaligen Zimmer des Reichsprälaten verkünden. Und falls es ihnen nach frischer Luft gelüstete: Der Klostergarten mit seiner Orangerie bietet genug Platz zum Flanieren. Und nach getaner Arbeit könnten sie im urigen Klosterbräuhaus einkehren.

Doch zum Leidwesen der frisch gewählten Rathaus-Chefs ist Kloster Irsee nicht ihr Rathaus – sondern ihre Schule. Der Bayerische Gemeindetag bietet ihnen diesen Service: Bürgermeister in drei Tagen. Statt Wahlparty stehen Kommunalverfassungsrecht, Finanzen, Mitarbeiterführung und Baurecht auf dem Programm.

Und sollte es einen Moment geben, an dem die Jubel-Stimmung nach dem Wahltriumph endgültig vorbei ist, dann ist es dieser: „Sie sind jetzt kein normaler Mensch mehr. Auf einmal sans a Großkopferter!“ Dieser Satz lässt alle im Saal zusammenzucken. Ausgesprochen hat ihn Christoph Ewert aus Karlsruhe. Der Professor will den 36 Neu-Bürgermeistern erklären, wie man am besten mit Stress und Zeitknappheit umgeht. Und mit der Bürde des Amtes.

Plötzlich Bürgermeister

Den Stress als Bürgermeister kennt Michael Bernwieser schon gut. Weil sein Vorgänger krank geworden ist, amtiert der Parteilose schon seit Anfang März als Bürgermeister von Seeshaupt am Starnberger See. „Und plötzlich bist du Bürgermeister!“, sagt er, und der Mann mit dem Vollbart klingt etwas gequält. Als Pfleger leitete er bis zu seiner Wahl viele Jahre die Station eines Krankenhauses. „Personal- und Menschenführung sind daher für mich überhaupt kein Problem.“ Dann fügt er hinzu: „Baurecht und andere Dinge muss ich halt noch lernen.“

Um 8Uhr morgens sitzt er jetzt immer in seinem Rathaus, 14 Mitarbeiter hat er, an vier Tagen in der Woche stehen auch abends noch Termine an, ein Wochenende gibt es kaum. 3000 Einwohner hat Seeshaupt, sie alle haben Erwartungen an Bernwieser: Ein neues Sportzentrum soll her, LKW sollen nicht mehr durch den Ort fahren dürfen, der Verkehr soll insgesamt beruhigt werden. Ob der neue Bürgermeister das alles schaffen kann?

Keine Frage: Bernwieser ist ein Fall für die Bürgermeister-Schule. Und diese ähnelt einer richtigen Schule nur allzu sehr: Dicht gedrängt sitzen die Amtschefs in Bankreihen. Sie tuscheln, vergleichen ihre Notizen und kichern, wenn Dozenten einen Witz machen.

Auch Namensschildchen haben sie sich gebastelt, mit Vor- und Nachname plus Gemeinde. Ihr Klassenzimmer ist der eher schmucklose Tagungsraum 227: weiße Wände, sandfarbener Teppich, hässliche Holzdecke. Es gibt Wasser, Saft und Cola.

Anti-Stress-Dozent Ewert legt los mit seiner Unterrichtsstunde: Erst mal bräuchte man eine Vision, sagt er. Was will ich? Warum will ich es? Was bedeutet das für anderen? Auf was bin ich bereit zu verzichten?

Etwas Besonderes sein

Nach der Vision kommt die Strategie, der Rest ist nur technische Umsetzung. Klar, dass man dafür erst mal Zeit freiräumen muss. „Es geht nicht darum, dass der Bürgermeister auf jeder Veranstaltung dabei sein muss. Dieses Chef-Syndrom ist tödlich. Der Bürgermeister muss etwas Besonders sein“, rät Ewert. Auch die Angst vor Fehlern will er den Rathaus-Chefs nehmen: „Wenn Sie keine Fehler machen, laufen Sie mit angezogener Handbremse durchs Leben.“

Sein Rezept für einen gelungenen Rathaus-Tag: Morgens gut gelaunt und pünktlich ins Büro, Zeit für die Termine des Tages einteilen, Wichtiges zuerst erledigen. Tagsüber nicht zu viel Aufwand produzieren, Schreibtisch immer aufgeräumt halten, Entspannungspausen einlegen. 60 Prozent eines Tages seien planbar, 20 Prozent geschehen unerwartet. 20 Prozent der Dienstzeit sollten sich die Bürgermeister dafür reservieren, kreativ zu sein. Abends steht noch eine Soll-Ist-Kontrolle an: Habe ich alles geschafft, was ich mir vorgenommen habe? Ewerts Tipp für danach: „Beenden Sie in positiver Stimmung den Tag.“ So einfach klingt das. Aber ist es das auch?

Die Bürde des Amtes

Silvia Kugelmann hat die Bürde ihres neuen Amtes schon zu spüren bekommen: „Darf ich noch Du sagen?“, haben Bekannte sie gefragt. Kugelmann ist irritiert: „Ich bin doch dieselbe Person. Nur die Aufgabe ist eine andere“, sagt die adrette 42-Jährige in der Kaffeepause zwischen zwei Unterrichtsblöcken. 50,48 Prozent – so hat sie die Wahl im schwäbischen 2500-Seelen-Dorf Kutzenhausen gegen den CSU-Konkurrenten gewonnen.

Eine Zukunftswerkstatt will die Frau jetzt gründen, bei der jeder Bürger seine Vorstellungen vom Kutzenhausen der Zukunft einbringen soll. Bislang bestickte Kugelmann in ihrer eigenen Werkstatt Messgewänder. „Dass ich selbstständig war, kommt mir jetzt zugute: Mit Geld gehe ich verantwortungsbewusst um, weil ich weiß, wie schwer es ist, es zu verdienen.“

Den Betrieb gibt sie nun für die Politik auf, das nötige Wissen für den neuen Job paukt sie in Irsee. Ihre Notizen macht sie sich in ein Buch mit rotem Ledereinband – es soll ihr Handbuch für sechs Jahre Regieren werden. Im Buch steht bereits, was sich durch die Gewerbesteuerreform alles ändert. Auch wie man öffentliche Aufträge richtig vergibt, hat sich Kugelmann aufgeschrieben: Europaweite Ausschreibung ist Pflicht, wiederholt sie. Und dann noch das „Recht des Bürgermeisters“. „Eigentlich haben wir hier gelernt, dass man als Bürgermeister schon mit einem Bein im Gefängnis steht“, sagt sie und wirkt ein wenig erschrocken dabei. Eine ungenaue Dienstanweisung, schon greift die Amtshaftung – und die Bürgermeisterin muss dran glauben. „Das ist heftig“, meint Kugelmann.

Wenn ihr im neuen Bürgermeister-Büro, in dem ihr Vorgänger 18 Jahre residierte, die Decke auf den Kopf fällt, will sie zur Entspannung malen. Und die Bilder dann im Büro aufhängen.

Der Unterricht geht weiter. Die leistungsorientierte Bezahlung von Rathaus-Angestellten steht auf dem Programm. Der Referent vom Gemeindetag wirft eine Tabelle mit dem Titel „TVöD“ an die Wand und doziert über die Zahlen sowie die Vor- und die Nachteile eines „Gieskannen-Prinzips“.

Und jetzt? Nachhilfe in Sachen Bürgermeister.

Georg Riesch wirkt etwas überfordert. Mit einer satten Zweidrittel-Mehrheit hat er die Bürgermeisterwahl in der oberbayerischen Gemeinde Jachenau gewonnen. Und jetzt? Die Zahlen da vorne versteht er nicht. Ob er langsam begreift, was er sich da zugemutet hat? Er war Feuerwehrkommandant, außerdem kennt er in seinem 890-Einwohner-Dörfchen fast jeden. „Irgendwann hieß es dann, ich soll es machen“, sagt der Mann mit der Trachten-Weste knapp.

Seine Werkstatt mit vier Angestellten will er fortführen, den Bürgermeister-Job ehrenamtlich machen. „Das muss sich ergeben“, sagt er trocken. Aber auch er findet das Seminar in Irsee gut: „Hier bekommt man gesagt, wo man nachschauen muss, wenn man keine Ahnung hat.“

Schublade ,Hat keine Ahnung’“

Mittlerweile steht ein Herr mit grauen Haaren und grauem Anzug vorn am Rednerpult und gibt einen „Grundkurs Baurecht“. Grenzbebauung, Baunutzungsverordnung, Bauordnung, Baugesetzbuch – der Mann rattert sein Programm herunter. Sein Tipp: „Sie müssen immer die richtigen Begriffe verwenden. Sonst kommen Sie in die Schublade ,Hat keine Ahnung’“. Aha.

„Die anderen hier sind genauso unsicher wie ich“, kombiniert Michael Müller, neuer Rathaus-Chef der schwäbischen Gemeinde Emersacker beim Mittagessen nach der Baurecht-Stunde. Lächelnd fügt er hinzu: „Das ist ein gutes Gefühl.“ Mit vielen Bürgermeister-Kollegen hier hat er die Telefonnummer ausgetauscht – für alle Fälle.

Fünf Wochen bleiben den Schülern von Irsee noch. Dann wird’s wirklich ernst.

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