Brillante Köpfe, die Straßen kehren

Zum Finale des „perspektive“- Festivals: Beeindruckende Dokus und mutige Gäste.
von  Abendzeitung
Agitieren in „Plötzlich letzten Winter“ gegen Italiens Konservative: Gustav Hofer und Luca Ragazzi.
Agitieren in „Plötzlich letzten Winter“ gegen Italiens Konservative: Gustav Hofer und Luca Ragazzi. © Festival Underdox

Zum Finale des „perspektive“- Festivals: Beeindruckende Dokus und mutige Gäste.

Die Chefin ist zufrieden: „Es läuft toll, die Stimmung ist gut“, sagt Andrea Kuhn, Leiterin des Nürnberger Menschenrechtsfilmfestivals „perspektive“. Sie erzählt vom begeisterten Empfang für Jasmin Tabatabai, von leergekauften Büchertischen und stehenden Ovationen bei der Lesung Iris Berbens. Nun ist sie „zuversichtlich, dass wir die Zahl von 9000 Zuschauern erreichen“.

Ob das gelingt, liegt auch am Wochenende (9.-11. Oktober). Am 9. Oktober läuft zum Beispiel „Unwanted Witness“ (Unwillkommener Zeuge), einer der zahlreichen Dokumentarfilme, die für ihr schwieriges Thema angemessene, eigene Bilder finden. Er begleitet die Arbeit des kolumbianischen Journalisten Hollman Morris, der Entführungen, Vergewaltigungen und versteckte Massengräber verfolgt – Verbrechen, die vertuscht werden sollen, weil sie auch von staatlichen und paramilitärischen Einheiten begangen werden.

Regisseur Juan Jose Lozano ist mit der Handkamera dicht an seinem Helden, kontrastiert wirkungsvoll die mediale Realität des Landes (oft filmt er Bilder der die militärischen Konflikte verschweigenden TV-Programme direkt vom Bildschirm ab) mit Massengräbern und protestierenden Coca-Bauern, auch mit dem privaten Leben Morris’. Der Journalisten bekommt Morddrohungen, muss von Bodyguards geschützt werden und bangt nicht nur um sein Leben, sondern auch um das von Frau und Kindern.

Am Rande seiner Filmpräsentation in Nürnberg erzählt er, dass er dennoch nicht ans Aufhören denkt. Auch nicht ans Exil: „Es gibt genug brillante Köpfe aus Kolumbien, die heute in Europa die Straße kehren.“ Und wenn die Bewegung der Opfer dem Druck standhalten könne, dann kann er’s auch (heute, Komm-Kino 18.40 Uhr).

In einer anderen „Bananenrepublik“ spielt „Plötzlich letzten Winter“: Die italienischen Journalisten Luca Ragazzi und Gustav Hofer verfolgen mit viel Galgenhumor und Seifenopernelementen die Diskussion um DICO, das von der Regierung Prodi angeschobene und längst gescheiterte Lebenspartnerschaftsgesetz. Sie fragen Menschen auf der Straße, heften sich an die Fersen der katholischen Rechten - und entlarven Italiens Politik als vom Vatikan kontrolliert. Wenn der x-te Bürger auf der Straße DICO ablehnt, „weil es gegen die Natur ist“, hört auch hier der Spaß auf. Dennoch ist Ragazzi und Hofer das seltene Kunststück gelungen, eine oft witzige Menschenrechtsdoku zu drehen - inklusive fiktivem Happy End . Bezeichnend, dass sie den Film an TV–Sender in aller Welt verkaufen konnten — nur in Italien nicht (9.10., Festsaal, 21.30 Uhr). Georg Kasch

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.