Breit grinsende Attacke mit Duftnoten
Sibylle Bergs „Nur nachts“ macht es sich am Staatstheater Nürnberg 90 Minuten lang im Zynismus gemütlich
Mit dieser Deutschland-Premiere einer „Komödie von Frau Berg“, die sich Nürnberg nach Wien und vor Berlin sicherte, ist die ersehnte Augenhöhe unseres Staatstheaters endlich aktenkundig. Auch wenn es sich, um es im Tonfall der streitbaren Autorin Sibylle Berg zu sagen, allenfalls um Hühneraugen handelt. Existenzielle Druckstellen sozusagen, an denen die begnadete Glossenkolumnistin nun 90 Minuten lang dramatisch hobelt. Dass ihre grinsende Attacke gegen die Lüge der Glücksverheißung auf Kabarett-Klischees von 1980 baut, ist die größte Überraschung von „Nur nachts“. Wo zwei Singles, Mitte 40 und auch sonst schon auf der Verliererstraße, beim späten Sprung in die Partnerschaft von personifizierten Ängsten drangsaliert werden, hinterlassen Generationen von Komikern Duftnoten. Neben „Sketchup“-Mumien ist auch Loriots Opa Hoppenstedt (hier sagt er: „Bananen? Neger-Obst!“) einer der gekidnappten Paten im Durchmarsch.
Die „Versuchsanordnung“ macht es sich im Zynismus gemütlich, indem sie ihn zugleich auskostet und relativiert. Wenn Mann und Frau sich als „mopsfidele Kameraden“ einander auch körperlich näher kommen, ist ein Geister-Paar im Widerstand (Geist 1: „Mir wird schlecht“, Geist 2: „Du bist ein Geist, du kannst nicht kotzen“) zur Stelle und baut aus heimlichen Ängsten eine Kammer des Schreckens. Wer sie öffnet, soll sich vermutlich totlachen. Getrieben vom ebenfalls außerirdischen „Einsatzleiter“ als Schmuddel-Entertainer, treiben die Gespenster ihre Opfer durch eine Prüfungs-Woche. Am Ende wird, nachdem selbst die Beschwörung einer Verbindung von Versagensangst und Schließmuskel die rechte Panik nicht herstellen konnte, das Pärchen-Experiment glücken statt scheitern. Ein länglicher Mutmacher-Song wie aus frühen Blütezeiten des GRIPS-Kindertheaters, der das Drama auflöst, geht im Geklapper der Augenzwinkerei fast unter.
Die BlueBox bewährt sich erneut als offener Spielraum, in dem viel möglich ist. Regisseurin Schirin Khodadadian ließ von Florian Angerer zwei Haushalte aufbauen. Aber selbst 20 Stehlampen bringen keine Erleuchtung. Der Einsatzleiter (Thomas L. Dietz juxt und juchzt) öffnet eine Welt der Blümchenvorhänge, seine Angstmacher (Rebecca Kirchmann und Hartmut Neuber im Komiker-Stress) hüllen sich, weil sie ja Gespenster sind, gern in weiße Gardinen. Und alle haben einen unheimlichen Hang zum Singspiel. Bodenständiger sind die beiden Hauptfiguren. Thomas Nunner zeigt viel versprechende Ansätze, wieder mal eines seiner knautschigen Psycho-Schussel abzuliefern, bleibt aber in Sibylle Bergs Witz mit Ansage stecken.
Elke Wollmann stellt alle gewünschten Posen aus und schaut glaubwürdig indigniert, wenn es zu albern wird. In diesem Geländespiel der Versagens-Visionen findet der Sturz vom Witz zur Philosophie als Bungee Jumping statt – alles schnalzt ständig zurück zum Ausgangspunkt. Weil die Nürnberger Inszenierung bloß turbulent ist, dabei statt einer ätzenden Groteske jenseits aller Correctness nur gepflegten Klamauk fürs verständnisinnige Hoho bietet, wird die Schwäche der Autorin überdeutlich. Ihr Sarkasmus ist ein Wellness-Angebot, mit dem sie am Ende in den Zweifeln nur geplanscht hat. Von wegen Zynismus, klarer Fall von „Glück ist geil!“ Der Beifall streckte sich wohlig. Dieter Stoll
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