Berufung Weltverbesserer: Der Initiator des Volksentscheids

Der Passauer Sebastian Frankenberger (28) hat den Volksentscheid zum Nichtraucherschutz ausgelöst. Er spaltet das Land, für viele ist er zur „Hassfigur“ geworden. Ein Portrait.
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Er hat dafür gesorgt, dass die Bayern am Sonntag über das Rauchen abstimme
dpa Er hat dafür gesorgt, dass die Bayern am Sonntag über das Rauchen abstimme

MÜNCHEN - Der Passauer Sebastian Frankenberger (28) hat den Volksentscheid zum Nichtraucherschutz ausgelöst. Er spaltet das Land, für viele ist er zur „Hassfigur“ geworden. Ein Portrait.

Dass Sebastian Frankenberger noch nie geraucht hat, wird wohl die wenigsten überraschen. Wie könnte man deutlicher zeigen, dass man für Tabak-Qualm wenig übrig hat, als mit der Organisation eines Volksentscheids für besseren Nichtraucherschutz? Doch da gibt es noch ein „nie“ im Leben des 28-Jährigen. Er hat noch kein Glas Bier, kein Stamperl Schnaps getrunken. Wobei er gleich vorschützend erklärt: „Aber ich will niemandem das Alkoholtrinken verbieten!“

Ganz ist aber auch Frankenberger nicht darum herumgekommen: Zwangsläufig hat er den „Spiritus“, was lateinisch übrigens für Atem oder Lebenshauch steht, dann doch probiert. In Form von Medizin. Und Messwein – „aber das ist ja das gewandelte Blut Jesus Christus“, erklärt Frankenberger mit schelmischem Blick. Dann muss er selbst lachen, der ehemalige Oberministrant, der den Jugendlichen immer ein Vorbild sein wollte.

Sein Engagement für eine völlig rauchfreie Gastronomie hat den Niederbayern innerhalb kurzer Zeit bekannt gemacht. Im Moment ist er stark gefragt: Fünf bis sechs Interviews gibt er am Tag.

Vorher, da war er nur ein stinknormaler Stadtrat aus Passau. Ein junger Mann, der sich als stellvertretender Geschäftsführer für die ÖDP in Bayern ins Zeug legt. Und der sein Geld hauptsächlich mit mittelalterlichen Stadtführungen verdient.

Und genau die mittelalterlichen Kostüme, die er dabei trägt, die stanken immer „verheerend nach Rauch“, wenn er seine Gruppen in eine Wirtschaft zum Essen begleitet hatte. Genauso wie seine langen dunklen Haare.

Zwar beschloss der Landtag im Dezember 2007 ein striktes Rauchverbot. Doch schon bald schossen überall Raucherclubs aus dem Boden, die das Gesetz quasi aushebelten. Auch in Passau. Nach den Verlusten bei der Kommunal- und Landtagswahl 2008 schwenkte die CSU dann ohnehin um. Die Regeln wurden aufgeweicht. „Da habe ich gesagt, es langt mir endgültig“, erinnert sich Frankenberger. Im Mai 2009 kündigte die ÖDP ihr Volksbegehren an. Frankenberger an vorderster Front. Jetzt, am nächsten Sonntag, gilt’s: Das Volk entscheidet. Und bis dahin ist der Passauer im Dauereinsatz.

Das Thema polarisiert. Für viele ist er zu einem roten Tuch geworden. Mehr als er selbst je gedacht hätte. „Ich werde so zur Hassfigur, dass ich für einen Verbotsstaat stehe. Dass ich den Leuten etwas aufzwinge.“ Dabei seien es doch am Schluss die Bürger selbst, die abstimmen. „Wir ermöglichen ja gerade erst Demokratie.“

Es ist brutal, was sich der 28-Jährige an den Kopf werfen lassen muss. Klar, wenn ein Passant ihn auf der Straße erkennt und lautstark erklärt, dass er sich sofort eine Kippe anzünden muss, dann ist das nicht weiter schlimm. Aber da sind auch diese Mails, in denen er als „Adolf Frankenberger“ bezeichnet wird. Oder in denen es heißt: „Wenn ich dich Öko-Faschisten-Schwein erwische, poliere ich dir die Fresse.“ Einen Teil der Mails beantwortet Frankenberger sogar. Nett. Erklärend. Nur die Nazi-Vergleiche gibt er gleich an seinen Anwalt weiter.

Doch der junge Stadtrat erntet auch viel Zuspruch. Von Menschen, die es toll finden, dass er sich für den Nichtraucherschutz einsetzt. Er lässt sich nicht beirren, hat ein dickes Fell. Wohl auch, weil er absolut überzeugt ist von dem, was er tut. Unabhängig davon, ob er gerade einen Volksentscheid organisiert – oder etwas anderes.

„Ich möchte, dass die Welt noch liebenswerter und lebenswerter wird“, sagt er. Ein typischer Satz für den 28-Jährigen, der eine Zeit lang Theologie studierte, und der oft etwas Missionarisches an sich hat. „Ich versuche, meiner Berufung, die Welt zu verändern, gerecht zu werden.“

Ob er einem gepflegten Kämpfchen wohl schon einmal aus dem Weg gegangen ist? Das kann man sich kaum vorstellen, wenn man ihn so erzählen hört. Er engagiert sich immer noch in der Kirche, war sogar stellvertretender Dekanatsvorsitzender. Gleichzeitig kritisiert er aber „die Doppelmoral von dem Verein“ und bekennt ganz offen, dass er sich freut, wenn der Passauer Bischof Wilhelm Schraml geht. Als Querulant will sich Frankenberger trotzdem nicht bezeichnet wissen: „Ich lege nur meinen Finger in die Wunde. Da, wo es ein Problem gibt.“ Er sei schon immer seinen Weg gegangen.

Als die Kirche vor einigen Jahren neue Notfallseelsorger sucht, da sagt er zu. Kaum 26 ist er damals. Der erste Einsatz: Ein Bub hat sich in der heimischen Werkstatt erhängt. Die ganze Familie ist zuhause. Zehn Menschen, die weinen, die schreien. Und Frankenberger, der versucht zu trösten. Bis zu 15 Mal wird er im Jahr gerufen. Immer häufiger nach einem Suizid. Er ist es aber auch, der die Todesnachricht nach einem Unfall überbringt. Zwei bis drei Stunden bleibt er dann vor Ort. „Ich stabilisiere die Leute in der ersten Situation.“

Seelsorger, Politiker, ehemaliger CSUler, seit sechs Jahren ÖDPler, Initator einer Volksabstimmung, leidenschaftlicher Standard-Tänzer, FC-Bayern-Mitglied, staatlich geprüfter Stadtführer und noch mehr – keine Frage, Frankenberger ist ein Energiebündel. Nicht zu bremsen. „Es ist meine Berufung, mich zu engagieren“, sagt er. Auch, wenn er dabei manchmal an seine Grenzen geht – oder sie sogar überschreitet. In den letzten 14 Tagen vorm Volksbegehren hatte er einen Kreislaufkollaps. Und einmal schlief er im Treppenhaus ein. Jetzt, kurz vor dem Volksentscheid, gönnt er sich nur drei Stunden Schlaf pro Nacht. „Im Moment übertreib ich’s. Das weiß ich“, sagt er. Anrufe, Interviews, Mails – keine Zeit für Ruhe.

Am Sonntag wird er erfahren, ob all die Arbeit etwas genutzt hat. Und wenn nicht? „Dann ist das zu respektieren. Dann ist das Volk halt noch nicht so weit.“ Das gehört nämlich auch zum Frankenberger’schen Glaubenskonzept: „Was uns passiert, das passiert immer zum richtigen Zeitpunkt.“

Genauso sieht das der Single Frankenberger übrigens in Sachen Liebe. Derzeit hat er keine Freundin. Obwohl der 28-Jährige schon recht konkrete Vorstellungen von ihr hat. Ein wacher, aufgeschlossener Mensch müsste sie sein. Mit zwei Beinen im Leben stehen. Ach ja. Und eine Nichtraucherin, bitte.

Was kommt als nächstes? Gibt’s schon eine neue Mission? Im Passauer Lokalmagazin „Bürgerblick“ war bereits zu lesen, dass Frankenberger 2020 als Oberbürgermeister kandidieren will. Man wird sicher noch von ihm hören.

Auch nach Sonntag.

Julia Lenders

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