Bayern als Raumfahrt-Vorreiter: Europas Kampf um Unabhängigkeit im All

Raumfahrtexperten warnen: Wer keinen eigenen Zugang zum Orbit habe, verliere wichtige Handlungsspielräume. Europa macht dabei zwar Fortschritte, muss aber kommerzieller werden. Warum das wichtig ist – und wie das gehen soll.
von  Maximilian Neumair
Die Ariane-6-Rakete der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) mit dem Erdbeobachtungssatelliten Sentinel 1-D vor dem Start. Das europäische Unternehmen ArianeGroup hat auch einen Standort in Ottobrunn.
Die Ariane-6-Rakete der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) mit dem Erdbeobachtungssatelliten Sentinel 1-D vor dem Start. Das europäische Unternehmen ArianeGroup hat auch einen Standort in Ottobrunn. © Ronan Lietar/AFP/dpa

Deutschland hat 82 Satelliten im Orbit, die USA haben 10.386. Von europäischem Boden aus sind in den vergangenen acht Jahren drei Raketen gestartet, in China waren es 68. Kurzum: Europa hinkt bei der Raumfahrt hinterher – wenngleich es sich bemüht, aufzuholen.

Insbesondere Bayern ist hier ein Vorreiter: Im Doppelhaushalt 2024/2025 sind rund 423 Millionen Euro für Luft- und Raumfahrt eingeplant. Josef Aschbacher, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), nennt den Freistaat gar "das Epizentrum der Weltraumfahrt, zumindest in Deutschland, wenn nicht gar in Europa".

Bayern ist sich dieser Rolle bewusst – und stolz drauf. Im Haus der Bayerischen Wirtschaft hat deshalb die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft unlängst Größen der Branche versammelt, um über die Bedeutung der Raumfahrt für die Zukunft zu sprechen.

ArianeGroup: "Ohne eigene Raketen keine Unabhängigkeit"

Jens Schroeter verantwortet unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit und Geschäftsentwicklung der Verteidigung für das europäische Raumfahrtunternehmen ArianeGroup mit Standort in Ottobrunn. Er stellt klar: "Ohne eigene Raketen keine Unabhängigkeit. Ohne eigene Satelliten keine Handlungsfähigkeit." Er kritisiert etwa, dass Europa ernsthaft in Erwägung zieht, für die Sicherheit hochrelevante Satelliten mit Elon Musks Raumfahrt-Konzern SpaceX in den Orbit zu befördern. Wenn es hart auf hart kommt, könnten schließlich andere Nationen die Kooperation verweigern.

So ist es in den 70er-Jahren schon einmal geschehen: Die USA hatte den Start eines europäischen Telekommunikationssatelliten an bestimmte Bedingungen geknüpft – woraufhin zehn europäische Staaten die ESA gründeten, um von den damaligen Weltmächten unabhängiger zu werden.

Inzwischen gehören zu der EU-unabhängigen Organisation 23 Länder. Wie wichtig es für die Sicherheit ist, einen Zugang zum Weltraum zu haben, zeigt etwa die Rolle von Satellitenkommunikation im Ukraine-Krieg bei der Koordination von Truppen und der Frühwarnung vor russischen Offensiven.

Jens Schroeter verantwortet unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit und Geschäftsentwicklung der Verteidigung für das europäische Raumfahrtunternehmen ArianeGroup mit Standort in Ottobrunn.
Jens Schroeter verantwortet unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit und Geschäftsentwicklung der Verteidigung für das europäische Raumfahrtunternehmen ArianeGroup mit Standort in Ottobrunn.

Souveränität im All ist aber auch eine Chance, wirtschaftlich davon zu profitieren. Schroeter zufolge können die Logistikunternehmen so besser ihre Routen planen oder Landwirte leichter ihre Felder überwachen. Das Potenzial: "neue Märkte in Milliardenhöhe" mit Wachstumsraten zwischen sieben und neun Prozent. Denn: "Das, was Halbleiter heute sind, wird die Raumfahrt morgen werden. Das dürfen wir nicht verpassen."

Kommerzialisierung: "Chance für andere Industrien und Unternehmen"

Womit sich Europa derzeit noch schwer tut, ist die Kommerzialisierung, die global schon längst entfesselt ist. Andreas Knopp, Sprecher des Forschungszentrums Space und Professor für Informationsverarbeitung an der Universität der Bundeswehr München, sagt dazu: "Raumfahrt ist so in gewisser Weise ein bisschen entzaubert worden."

Es handelt sich demzufolge nicht länger um einen Sektor, der nur dem Staat vorenthalten ist. Aber: "Dieses Entzaubern kann eben auch eine Chance sein für andere Industrien und Unternehmen, diesen Markt zu beliefern." Die Amerikaner seien in dieser Hinsicht ein Vorbild.

Andreas Knopp, Sprecher des Forschungszentrums Space und Professor für Informationsverarbeitung an der Universität der Bundeswehr München, denkt, dass die Raumfahrt in Europa kommerzieller werden müsse.
Andreas Knopp, Sprecher des Forschungszentrums Space und Professor für Informationsverarbeitung an der Universität der Bundeswehr München, denkt, dass die Raumfahrt in Europa kommerzieller werden müsse.

Um diese Chancen zu nutzen, braucht es laut Knopp trotz Kommerzialisierung staatliche Schützenhilfe: "Die nächste Herausforderung wird sein, Programme aufzulegen, wo andere Industrien mit rein können."

Das Angebot müsse wachsen: "Die Industrie ist momentan gar nicht in der Lage, Produkte in der Größenordnung zu liefern, die wir eigentlich bräuchten", sagt Knopp. Die Konsequenz: Teile müssen aus dem Ausland gekauft werden. "Manchmal sind das so banale Dinge wie Kabelbäume."

Zudem sollte der Staat gezielt jene Forschung fördern, aus der Produkte oder Unternehmen entstehen können. Knopp berichtet aus eigener Erfahrung: "Wir forschen in Deutschland und dann sind wir fertig damit." Eine kommerzielle Weiterverwertung der Ergebnisse fehle.

"Das dürfen wir nicht den Amerikanern überlassen"

In innovative Unternehmen aus Deutschland müsste demnach auch mehr Risikokapital fließen. "Die müssten wir mehr mit eigenem Kapital unterstützen und das nicht den Amerikanern überlassen, die dann auch den Profit davontragen", sagt Knopp.

Der europäische Wettersatellit MTG-S1. Er wurde mit einer Falcon-9-Rakete der US-Firma SpaceX gestartet.
Der europäische Wettersatellit MTG-S1. Er wurde mit einer Falcon-9-Rakete der US-Firma SpaceX gestartet. © Esa/Cnes/Arianespace/Arianegroup

Rolf Kozlowski, Geschäftsführer des Weßlinger Unternehmens DLR Gesellschaft für Raumfahrtanwendungen, beklagt, dass der Mut zur Innovation fehle. "Wir stehen uns da ein bisschen selber auf den Füßen, weil wir im Prinzip immer noch alles von der Sicherheit aus denken."

Ein Elon Musk feiere jede Explosion eines Satelitten wie einen Erfolg. Würde das hingegen einer europäischen Firma wie der ArianeGroup passieren, wäre das ein Drama. Die Verantwortlichen sollten laut Kozlowski stattdessen so denken: "Und jetzt probieren wir es gleich nochmal." Was fehlt, ist also die Bereitschaft, auch mal zu scheitern – und danach wieder aufzustehen und es weiterzuprobieren.

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