Bayerischer Slackliner im Interview: "Mir ist die Gefahr sehr bewusst"
Oberammergau - AZ-Interview mit Quirin Herterich: Der 28-Jährige wohnt in Oberammergau und steht im neuen Guinnessbuch der Rekorde – mit waghalsigen Slackline-Abenteuern.
AZ: Herr Herterich, kann man sich als Slackliner Angst erlauben?
Quirin Herterich: (lacht) Eigentlich nicht. Wenn man Höhenangst hat und es nicht schafft, sie loszuwerden – schaut es schlecht aus. Aber sagen wir es so: Auch ich habe mit Angst zu arbeiten, das heißt, die Angst versucht immer wieder hochzukommen – das ist ein natürliches Gefühl, das uns Menschen mitgegeben wurde. Man muss wissen, wie man damit umgeht.
Wie denn?
Ein einfacher Trick: aktiv auf die Atmung achten. Wenn man merkt, dass die Angst hochkommt, sollte man die Atmung verlangsamen und tief und ruhig einatmen. Der Körper reagiert darauf ganz chemisch und senkt den Puls etwas.
Slackliner im neuen Guinness-Buch der Rekorde
Sie sind im neuen Guinness-Buch der Rekorde mit einer spektakulären Slackline-Aktion vertreten – wie sah die aus?
2021 sind mir sogar zwei Weltrekorde gelungen, 2022 nochmal einer.
Das klingt ja fast, als wären Sie süchtig nach Rekorden.
Nein, 2021 war einfach ein super Jahr. Ich war sehr fokussiert darauf und habe hart dafür gearbeitet. Es dauert auch, bis die Planungen umgesetzt sind.
Welche der Rekorde sind in der neuen Ausgabe notiert?
Slacklinen zwischen zwei Heißluftballons am Tegernsee und auch der Längenrekord.
Erzählen Sie vom ersten!
Die Idee schwebte mir schon lange vor, es gab auch bereits Slackline-Versuche zwischen zwei frei schwebenden Heißluftballons, aber von Korb zu Korb. Die Slackline zog die Ballons dadurch zusammen. Zudem war die Länge der Slacklines bis dahin zwischen 15 und 20 Metern. Das sah nicht so ästhetisch aus und es wurde eben schon gemacht – damit ist es für mich nur noch halb so interessant.
Wie haben Sie noch einen drauf gelegt?
Das Ziel war, die Länge zu erhöhen, und ich wollte die Slackline oben an den Ballons festmachen. Ich habe für die Aktion einen dafür offenen Piloten am Tegernsee getroffen und mit ihm über die Sicherheit und die technische Machbarkeit gesprochen. Wir haben dann die Höhe definiert.
Wie hoch waren die Ballons?
80 Meter. Ich wollte lieber noch höher, aber das war der Kompromiss.
Die Slackline war 88 Meter lang – und wie breit?
Die war zweieinhalb Zentimeter breit. Je schmaler sie ist, desto weniger Wind fängt sie.
Wie ist man gesichert?
Ich gehe all meine Highlines immer nur gesichert. Die Sicherung ist recht unspektakulär, es ist nur ein Seil, das vom Klettergurt zur Slackline geht. Des Weiteren ist auch die Slackline immer doppelt abgesichert, eigentlich sind es zwei: eine lasttragende und eine Ersatzslackline, falls mit der ersten etwas wäre.
Auch die Ästhetik muss stimmen
Was geht einem durch den Kopf, wenn man in 80 Metern Höhe auf zweieinhalb Zentimetern balanciert? Und wie schnell pumpt das Herz?
Da ist man natürlich schon nervös, ich musste meine Atmung kontrollieren. In dem Fall war auch noch das Fernsehen dabei und mein Anspruch war, dass ich beim ersten Mal ordentlich und ohne Sturz rüberkomme.
Was geht einem durch den Kopf, wenn man es dann tatsächlich geschafft hat?
Dann ist man in Feierlaune!
Aber bitte keinen Freudensprung machen!
Nein, das geht nicht, aber es fällt unheimlich viel Druck von einem ab. Genau deswegen gehe ich so gern auf der Highline, weil ich danach nochmal in die Mitte zum Spaß gehen kann, die Aussicht genießen und nach links und rechts schauen.
Und nach unten?
Auch das. Während des Rekordversuchs bin ich extrem fokussiert und schaue nur auf das Ende der Slackline. Alles andere um mich herum blende ich aus. Ich bin dann wie in einem Tunnel und nehme sonst nichts wahr.
Dann wäre es eigentlich egal, wo man den Weltrekord aufstellt? Sie haben sich trotzdem für den Tegernsee entschieden.
Für mich ist es schon sehr wichtig, dass die Line ästhetisch ist, dass das Gesamtgefüge passt. Also zwei schöne exponierte Punkte, vielleicht Berge im Hintergrund oder bei Sonnenauf- oder untergang.
Wie schnell haben Sie die 88 Meter in luftiger Höhe geschafft?
In etwa sechs Minuten. Je schneller ich über eine Slackline laufen kann, desto weniger Gefahr ist, dass ich einen Fehler mache und runterfalle. Ein solcher Rekord lebt auch von einer bestimmten Geschwindigkeit.
Sie haben anfangs drei Rekorde erwähnt – was waren die übrigen zwei?
Die längste Slackline der Welt mit 2.130 Metern – drei Jahre hat die Planung dafür gedauert. Das Team und ich haben uns dafür für Schweden entschieden, nördlich des Polarkreises: das Tor zu Lappland. Zwei Berggipfel, die in der Mitte ein Gletschertal haben.

Klingt nach einer spektakulären Umgebung. Nummer 3?
Die höchstgelegene Highline der Welt: 5.877 Meter.
Weitere Slackline-Projekte sind bereits geplant
Ist schon das nächste Projekt in Planung?
Ja, ist es tatsächlich, aber ich spreche noch ganz ungern darüber. Es gibt immer viele Hürden zu überwinden.
Dann gehen wir doch mal zu den Anfängen zurück: Wie kommt man drauf, Slackliner zu werden?
Aktiver Slackliner bin ich seit 2011. Aber in Kontakt damit kam ich schon früher, meine Familie ist sehr bergsportaffin. Seit ich denken kann, bin ich geklettert – und die Slackline kommt ja aus dem Klettersport. Ich habe es als Kind sporadisch immer mal wieder ausprobiert. Kurz nach dem Abitur habe ich mir für den Urlaub mit meinem Bruder die erste Slackline gekauft. Ich habe jeden Tag während des zweiwöchigen Urlaubs darauf geübt. Ich wurde jeden Tag etwas besser, das hat mich sehr motiviert weiterzumachen. Nach dem Urlaub habe ich die nächste Slackline gekauft (lacht).
Wie fängt man an, wenn man das auch mal ausprobieren möchte? Haben Sie Ratschläge?
Einfach machen! Eine Beginner-Slackline kaufen oder ausleihen und sich durchaus einmal ein oder zwei Stunden dafür Zeit geben. Denn Slacklinen ist mit Skifahren vergleichbar: Wenn ich als blutiger Anfänger eine Stunde auf Skiern stehe, kann ich es auch noch nicht. Das muss man lernen. Man sollte nicht nach fünf Minuten aufgeben, sondern Zeit und Übung investieren. Dann funktioniert es relativ schnell, in einer Woche sieht man schon gute Fortschritte.
Braucht man weitere Voraussetzungen?
Slacklinen ist Übung, Übung, Übung. Ich würde nicht sagen, dass man dafür ansonsten große Voraussetzungen erfüllen muss.
Wie oft trainieren Sie noch?
Wenn ich auf einen Längenrekord trainiere, ist dieser durchaus mit Risiko verbunden, Denn wenn ich in der Mitte einer 2.000er-Slackline stehe, kann mir niemand helfen. Ich muss in der Lage sein, stabil rauszulaufen. Wie kann ich dem Risiko also begegnen? Nur durch Training. Das heißt: zwei bis drei Stunden pro Tag und das mindestens vier bis fünf Mal die Woche. Das sind dann durchaus rund 15 Kilometer auf der Slackline pro Woche.
Die Familie von Herterich ist nicht begeistert
Ist einem die Gefahr immer bewusst?
Mir ist die Gefahr sehr, sehr bewusst. Das ist aber auch das, was ich suche. Wenn man auf eine sehr lange Slackline geht, muss man seinem Körper kompromisslos vertrauen und abliefern können. Wenn man in der Situation die Leistung nicht abrufen kann und grobe Fehler macht, ist man allein und muss mit den Konsequenzen leben – die schlimmstenfalls auch tödlich sein könnten. Ich bin gewissermaßen ein Risiko-Manager.
Was sagt Ihre Familie zu Ihrer Faszination?
Gerade die Eltern sind natürlich nicht begeistert, aber sie haben es akzeptiert. Sie sind auch schon beim Training dabei gewesen.
Was bedeutet Ihnen ein Rekordtitel?
Ich bin schon stolz, letztendlich würde ich Slacklinen aber immer einfach mit Spaß beschreiben. Ich bin dadurch viel gereist, war auf fünf Kontinenten. Jetzt bin ich soweit, dass meine Vorbilder zu meinen Kollegen werden, und ich den Sport weiterentwickeln kann.
Was würden Sie in der Zukunft gerne noch machen?
Highlinen in der Antarktis, das wäre ein Traum. Und noch ein paar verrückte Ideen – zwischen zwei Zeppelinen zum Beispiel.
Das neue deutschsprachige Guinness-World-Records-Buch 2023 erscheint bei Ravensburger und ist ab sofort im Handel erhältlich.
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