Bayerische Astronautinnen im AZ-Gespräch: "Es wird Zeit für eine Deutsche im All"
AZ-Interview mit Nicola Winter und Amelie Schoenenwald: Die frühere Kampfflugzeugpilotin Nicola Winter (37) aus München ist Projektmanagerin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die promovierte Biologin Amelie Schoenenwald (33) stammt aus Landau an der Isar.
AZ: Frau Schoenenwald, Frau Winter, mehr als 22.000 Bewerber wollten Astronaut bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa werden. Sie sind beide extrem weit gekommen, noch trennt Sie allerdings das Wörtchen Reserve vom All-Traum. Enttäuscht oder hoffnungsvoll?AMELIE SCHOENEWALD: Bei knapp 22.500 Bewerbern haben sich 17 am Ende durchgesetzt, darunter sind wir die einzigen beiden Deutschen! Das allein ist ein unbeschreiblicher Erfolg und ich kann es immer noch nicht ganz glauben. Wir repräsentieren jetzt zusammen mit Alexander Gerst und Matthias Maurer unser Land.
NICOLA WINTER: Enttäuscht und hoffnungsvoll – beides ein bisschen. Wir haben keine Absage bekommen, natürlich aber auch noch nicht den Flug ins All. Uns wurde damit in Aussicht gestellt, dass es eines Tages einmal klappen kann – darüber freuen wir uns. Man braucht als potenzieller Astronaut einen langen Atem.

"Deutschlands zwei Plätze sind derzeit besetzt"
Hat denn Herr Söder schon gratuliert? Der bayerische Ministerpräsident ist bekanntlich ein großer Weltraum-Fan.
AS: Bei mir persönlich noch nicht – ich warte immer noch auf die Einladung für ein gemeinsames Abendessen (lacht).
NW: Der bayerische Landesvater darf uns gern nach einer gelungenen Weltraummission gratulieren (lacht).
Fünf Astronauten aus anderen europäischen Ländern werden die mehrjährige Ausbildung nun beginnen, weitere zwölf sind die Reserve. Warum hat es bei Ihnen nicht für die fünf Letzten gereicht?
AS: Die Europäische Weltraumorganisation Esa hat 22 Mitgliedsstaaten – Deutschland ist nur einer davon. Das heißt, die Organisation ist sehr divers und muss dadurch auch diverse Interessen jonglieren. Bei der vorherigen Auswahl waren unter sieben Astronauten zwei Deutsche – Alexander Gerst und Matthias Maurer. Dadurch ist vorerst wenig Spielraum für mehr Deutsche. Josef Aschbacher, der Generaldirektor der Esa, hat bei der Verkündung betont, dass wir 17 alle für eine Astronautenkarriere qualifiziert sind.
NW: Wir haben nichts falsch gemacht, es sind länderspezifische Plätze. Deutschlands zwei Plätze sind derzeit besetzt, für diese Slots sind wir die Reserve.

"Bin sehr optimistisch eingestellt"
Wie geht es jetzt weiter? Wirkt sich der Reserve-Status auf den Alltag aus?
AS: Wir arbeiten wie zuvor, haben aber zusätzlich einen Beratervertrag von der Esa bekommen. Wir müssen jährlich unsere medizinische Tauglichkeit nachweisen, dass wir fit sind und es kontinuierlich bleiben. Zusätzlich werden wir Trainingseinheiten absolvieren, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Einen konkreten Plan gibt es dafür aber noch nicht, da es zuvor auch noch nie Astronauten der Reserve gab.
Wie groß sind die Chancen für Sie beide?
AS: Bei der Raumfahrt und auch innerhalb der Esa wandelt sich gerade so viel. Deswegen bin ich sehr optimistisch eingestellt. Die Chancen stehen extrem gut – und wir sind bereit!
NW: Ich denke mindestens 50:50. Unsere Chancen hängen auch davon ab, was die Deutschen wollen. Die Esa ist das ausführende Organ ihrer 22 Mitgliedsstaaten.
Denken Sie, die Deutschen wollen eine Frau im All sehen?
AS: Ich hoffe doch. Ich bin jedenfalls sehr dahinter. Wir hatten viele deutsche Männer im All und noch keine Frau. Es wird Zeit.
NW: Ich glaube, es ist den meisten gar nicht bewusst, dass wir in dem Bereich noch rückständig sind, und viele würden sich sicher dafür aussprechen.
"Eine deutsche Frau im All wäre ein klarer Fortschritt für Deutschland"
Woran liegt es, dass noch keine Deutsche im All war?
AS: Tatsächlich waren schon 13 deutsche Männer im All, wenn man den Afghanen Abdul Ahad Momand mitzählt, der nun auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Ich denke, dass es der historischen Rolle der Frau geschuldet ist. Zum Glück hat sich diese mittlerweile sehr gewandelt. Dieser Zug des Wandels darf jetzt nur nicht stehen bleiben, sondern muss weiterfahren.
NW: Es ist ein historisches und gesellschaftliches Problem, weil wir aus einer erzkonservativen Gesellschaft kommen. In Deutschland sind weniger Frauen in den mathematisch-wissenschaftlichen Berufen als im internationalen Vergleich. Genauso verhält es sich bei der Fliegerei. In der Medizin ist es immerhin zur Hälfte aufgeteilt, aber einen dieser Hintergründe braucht man eben, um Astronaut zu werden.
Was würde es Ihnen bedeuten, wenn Sie die erste deutsche Frau im All werden?
AS: Eine deutsche Frau im All wäre ein klarer Fortschritt für Deutschland und ein Vorbild für kommende Generationen, das zeigt: Frauen können dasselbe wie Männer.
NW: Für mich ist es ein zweischneidiges Schwert, natürlich hätte man dann eine Repräsentanz-Funktion. Mir persönlich ist das nicht so wichtig - den deutschen Pass zu haben, ist keine Leistung. Es würde für mich als Person auch nichts an meinem Erlebnis ändern, wenn ich die zweite Frau aus Deutschland im All wäre. Gesellschaftlich allerdings finde ich es extrem wichtig – jede Frau, jede Mama mit Kids weiß, dass wir Frauen so viel mehr drauf haben. Es gibt natürlich auch gute Männer, das möchte ich ihnen nicht absprechen (lacht).
"Jeder in der Raumfahrt träumt wahrscheinlich vom Mond"
Welche Mission würde Sie am meisten interessieren?
AS: Ich bin Wissenschaftlerin und mich interessiert alles, was die Forschung und die Menschheit voranbringt. Also gern auf die ISS, gern auch auf den "Lunar Gateway" (die geplante Station auf der Mondumlaufbahn; Anm. d. Red.), mit ganz viel Glück sogar zum Mond – oder alle drei!
NW: Ich unterscheide zwischen Zielen und Träumen. Jeder in der Raumfahrt träumt wahrscheinlich vom Mond. Das ist das absolute Highlight! Ein realistisches Ziel ist wohl aber der Flug ins All, der Blick zurück zur Erde und dabei möglichst viel Sinnvolles leisten.
Wovor hätten Sie Angst oder zumindest Respekt, wenn Sie ins All fliegen dürften?
AS: Ich bin auch Taucherin – sowohl für unter Wasser als auch für das Weltall ist der Mensch nicht gemacht. Es wird also Herausforderungen geben, aber wir werden vorab ausführliches Training bekommen und damit für alle Szenarien vorbereitet sein. Angst ist also das falsche Wort, Respekt trifft es eher.
NW: Ich sehe es auch so, das wird nicht die Zeit und der Ort sein, um Angst zu haben. Aber Respekt werde ich haben, weil vieles außerhalb unserer direkten Kontrolle sein wird. Nehmen Sie den Raketenstart als Beispiel oder auch etwa einen Außeneinsatz an der ISS.
"Es kann noch Jahre dauern"
Worauf würden Sie sich am meisten freuen?
AS: Die Erde von oben zu sehen und noch mal ganz anders wahrzunehmen, wie verletzlich unser Planet ist. Aber auch die Stille und das Nichts da draußen.
NW: Den Ausblick von der ISS. Und wenn es tatsächlich zum Mond klappen würde: Dort herrscht nur ein Sechstel der Schwerkraft und wenn man dann so herumhüpft – das fände ich sehr lustig.
Wie werden Sie – vermutlich – reagieren, wenn irgendwann tatsächlich dieser eine Anruf der Esa kommen sollte?
AS: Ich vermute, ähnlich wie bei der telefonischen Einladung nach Paris durch Josef Aschbacher: mit einem zitterndem Ja, aber mit einem breiten Grinsen und einer glitzernden Freudenträne im Auge.
NW: Ganz entspannt würde ich Ja sagen. Aber das kann noch Jahre dauern – und wahrscheinlich kommt er dann, wie es oftmals ist, in einem unerwarteten Moment.
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