Bayer mit schweren Vorwürfen gegen früheren Bischof Walter Mixa: "Er nimmt meinen Kopf in beide Hände und küsste mich auf den Mund"

Ein Bayer (39) wirft vier Geistlichen sexuelle Übergriffe vor. Darunter ist auch der frühere Bischof von Augsburg, Walter Mixa. Dieser weist die Vorwürfe entschieden zurück.
von  Rosemarie Vielreicher
Josef Henfling hat vier Geistliche angezeigt. Es habe lange gedauert, bis er dazu bereit gewesen sei, sagt der ehemalige Internatsschüler.
Josef Henfling hat vier Geistliche angezeigt. Es habe lange gedauert, bis er dazu bereit gewesen sei, sagt der ehemalige Internatsschüler. © Josef Henfling

München - Wäre es nach seiner Pflegemutter gegangen, wäre Josef Henfling (39) Priester geworden. Aus diesem Traum wurde nichts. Außer ein Albtraum, wenn man den Worten des gebürtigen Rosenheimers glaubt. Obwohl er mit Rosenkranz und Gottesdiensten aufwuchs, hat er mit der Kirche gebrochen.

Er behauptet, dass er in Österreich und der Schweiz sexuelle Übergriffe durch vier Geistliche erlebt hat. Die ersten, als er noch ein Jugendlicher war. Vor wenigen Tagen hat er nun Anzeige deswegen erstattet. Wie ernst es ihm damit ist, zeigt auch, dass er seinen vollen Namen nennt und auf ein Pseudonym oder eine Abkürzung in der Öffentlichkeit verzichtet.

Missbrauchsvorwürfe gegen Augsburger Ex-Bischof Walter Mixa: Was ist passiert?

Pikant: Einer der von Henfling Beschuldigten ist der frühere Augsburger Bischof Walter Mixa (82). Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen bestätigt der AZ den Eingang dieser Anzeige. Sie werde geprüft, weitere Auskünfte dazu könnten zurzeit nicht erteilt werden. Der Ausgang der Prüfungen ist offen, für Mixa gilt die Unschuldsvermutung.

Um was geht es konkret? Bei dem von Henfling erhobenen Vorwurf gegen Mixa handelt es sich laut Henfling um einen einmaligen Vorfall nach einer Messe in Gossau (Schweiz). Zunächst berichtete der Schweizer "Sonntagsblick" darüber.

Walter Mixa sieht sich mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert.
Walter Mixa sieht sich mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert. © dpa

Henfling schildert, dass er damals, im Jahr 2012 – Henfling war 27 Jahre alt –, bei einem katholischen Sender gearbeitet habe. Mixa sei zu Filmaufnahmen gekommen, aus dem Stegreif nennt der 39-Jährige die zwei Titel der aufgezeichneten Vorträge des Geistlichen. Diese finden sich noch bei Youtube und wurden vor elf Jahren online gestellt.

Anwältin von Walter Mixa zur AZ: "Er kann es ausschließen"

Nach den Dreharbeiten, einem Abendessen und der Beichte feierten sie laut Henfling eine lateinische Messe, er habe ministriert. "Nach der Messe sind wir ganz normal in die Sakristei und haben die liturgischen Gewänder abgelegt. Er kommt auf mich zu, nimmt meinen Kopf in beide Hände und küsst mich auf den Mund und umarmt mich heiß und innig", so beschreibt er die angeblichen Vorfälle mit dem früheren bayerischen Bischof.

Die Anwältin Walter Mixas weist die Vorwürfe auf AZ-Anfrage auf das Schärfste als unwahr zurück: "Er kann ausschließen, im Anschluss an eine Messfeier im Sommer 2012 irgendjemanden 'fest umklammert und auf den Mund geküsst' zu haben. So etwas wäre unserem Mandanten überhaupt nicht eingefallen. Einen solchen Vorfall hat es nie gegeben."

Gegenüber der Schweizer Zeitung "Sonntagsblick" soll sich Mixa so geäußert haben: "Wenn ich jemanden umarme und küsse, dann als Zeichen der Zuneigung. Das ist doch keine Belästigung!" An den angeblichen Vorfall könne er sich nicht erinnern. Henfling will danach schockiert auf sein Zimmer gegangen sein. Kontakt zum früheren Bischof habe es danach nicht mehr gegeben. Er selbst habe wenige Wochen später seinen Job gekündigt. Er habe den Vorfall als Schlüsselerlebnis empfunden, danach habe er sich trotz seiner strenggläubigen Erziehung von der Kirche gelöst.

Mixas früheres Bistum Augsburg wurde schriftlich über die Strafanzeige informiert, wie es der AZ mitteilt. "Die erhobenen Vorwürfe beziehen sich auf einen Zeitraum, zu dem Bischof em. Dr. Mixa schon seit zwei Jahren im Ruhestand war und sich daher in keinem aktiven Dienstverhältnis mehr zur Diözese Augsburg befand", teilt das Bistum mit. "Zudem hatte er zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz bereits außerhalb des Bistums Augsburg."

Warum jetzt? "Das geht nicht schneller"

Zur Erinnerung: Nach Berichten über Prügelvorwürfe gegen Mixa trat dieser 2010 zurück. Parallel laufende Vorermittlungen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch gegen den Geistlichen hatte die Staatsanwaltschaft Ingolstadt 2010 eingestellt.

Ein Schritt zurück in Henflings Jugend: Die ersten sexuellen Übergriffe, um die es auch in den weiteren Anzeigen geht, sollen schon 1998 begonnen haben, als ihn seine Pflegemutter in einem Bischöflichen Seminar in Österreich unterbrachte. Die Vorwürfe gegen einen Pater umfassen unter anderem: Streicheln, Küssen, auch mit Zunge, und Berühren der Genitalien beim Zudecken. Zwei Jahre lang soll es immer wieder zu Übergriffen gekommen sein.

In seiner nun erstellten Zusammenfassung dazu hat Henfling auch notiert, dass er auf dem Schoß des Geistlichen gesessen und dessen erregtes Glied gespürt habe. Der 39-Jährige sagt, er habe ein paar wenige Postkarten und Briefe von besagtem Pater aufbewahrt, die das zu enge Verhältnis des Geistlichen zu ihm, seinem Zögling, belegten. Eine Postkarte mit Datum August 1999 liegt der AZ digital vor.

Auch zwei weitere Priester in der Diözese St. Pölten sowie in der Diözese Chur (Schweiz) sollen sich ihm gegenüber in den folgenden Jahren sexuell übergriffig verhalten haben, so erzählt es der 39-Jährige. Es seien "unfassbare Schmerzen" gewesen, das alles im Rahmen der Anzeigenerstattung zu Papier zu bringen.

Missbrauchsopfer Josef Henfling: "Ich hatte niemanden, kein soziales Netz"

Die AZ will von ihm wissen: warum jetzt? Warum bringt er die Vorwürfe nun an die Öffentlichkeit, nach teils über 20 Jahren? Er habe so lange gebraucht, "um zu verstehen, was da passiert ist, in welchen Kreisen ich aufgewachsen bin. Das geht nicht schneller."

Die Auswirkungen auf sein Leben schildert er als massiv:
"Ich habe mich schlafen gelegt", so nennt er es, wie sein Leben zwischen 2013 bis 2021 verlief. Was er damit meint? "Ich bin Sozialhilfeempfänger geworden, habe mich um nichts mehr gekümmert, musste mir Antidepressiva verschreiben lassen." Er sei tief in eine Depression gestürzt. "Ich hatte niemanden, mit dem ich diese Probleme hätte aufarbeiten können."

Seinen Worten zufolge will er es durchaus einige Male versucht haben, seine Vorfälle geistlichen Stellen zu schildern. Passende Hilfe habe er nicht erfahren. Aktuell begleitet und unterstützt ihn der Münchner Priester Wolfgang Rothe, der ebenfalls vor Jahren Missbrauch durch einen Geistlichen erlebt haben soll.

Henflings Hoffnung ist nun: "Ich erwarte, dass Ermittlungen eingeleitet werden." Von kirchlicher und staatlicher Seite, schiebt er hinterher. Er habe sich schon Tausende Male die Frage gestellt, warum das alles ihm zugestoßen sei. "Ich hatte niemanden, kein soziales Netz. Ich war das perfekte Opfermaterial und bestens geeignet, ausgenutzt zu werden." Er beschreibt es weiter als "eine Mischung aus Abhängigkeitsverhältnis beziehungsweise sozialer Schwäche", durch die er zum Opfer wurde.

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