Baum noch zu retten? Horst Förther macht den Hammer-Test
Wenn die Kettensäge kreischt, kochen Emotionen hoch. Doch das Fällen mancher Bäume ist überlebenswichtig.
NÜRNBERG Der Baum vorm Haus ist nicht einfach nur irgendein Baum. Der wurde vielleicht gepflanzt, als die Kinder klein waren; darunter haben sich manche das erste Mal geküsst; er blüht im Frühling wunderschön. Und wenn dann die Männer mit den Sägen kommen, kochen Emotionen hoch, sieht der Baum für den Laien doch oft kerngesund aus. Doch wie es unter der Borke aussieht, wissen die Experten von SÖR, dem Servicebetrieb Öffentlicher Raum. Immer wieder stoßen sie auf wütende Anwohner in der Innenstadt, die „ihre“ Bäume schützen. Dass das Fällen dem Schutz der Bürger dient, realisieren wenige.
Vor dem Hintergrund aktueller Proteste, die die Fällungen im Colleggarten an der Archivstraße begleiten, ging SÖR in die Offensive – mit handfesten Informationen. Im Colleggarten setzt der Pilz „Hallimasch“ den Bäumen zu. Deswegen wird hier die Säge angesetzt. „Gefällt wird aus purer Angst um die Bürger“, brachte es Bürgermeister Horst Förther auf den Punkt. Rund 25.000 Bäume begrenzen die Straßen Nürnbergs, 100.000 stehen in den Parks. „Wenn ein kranker Baum umstürzt und jemanden erschlägt, dann sind wir rechtlich dran.“
Die Bäume in Nürnberg werden ein- bis zwei Mal im Jahr begutachtet. Die Experten sehen Schäden, die der Laie nicht erkennt. Um sich sicher zu sein, dass der Baum gefällt werden muss, wird Hightech angewendet: zum Beispiel Ultraschall, der beweist, dass die Pflanze hohl ist und nurmehr auf der Rinde steht.
Wenn der SÖR-Trupp anrückt, sieht das martialisch aus. „Ich weiß, wir sind die ,Plattmacher’“, sagt Sachgebietsleiter Gerhard Liwanetz. „Doch die Fällung ist für uns das allerletzte Mittel.“ Liwanetz kennt jeden Baum dank Computersystem „mit Vornamen und Nachnamen“. Er schwärmt von „Naturdenkmälern“ am Dutzendteich: „Bevor dort gefällt wird, sperren wir lieber den Bereich ab.“
Wenn die Säge angeworfen werden muss, überprüft ein unabhängiger Gutachter die SÖR-Diagnose – und wird eventuell von einem zweiten Gutachter gegengeprüft. Erst dann gibt’s die Abholz-Genehmigung. Von den 25.000 Straßenbäumen wurden 2008 0,6 Prozent gefällt: 133 Stück. Und wieder neu angepflanzt, wenn es der Standort erlaubt.
Um es nicht so weit kommen zu lassen, gab die Stadt 2008 430.354 Euro für Baumpflege aus. Das Geld ist gut investiert: 2005 wurde beim Annafest in Forchheim ein Mann von einem Ast erschlagen, ein Mädchen sitzt seitdem im Rollstuhl. Anne (19) klagt jetzt auf Schmerzensgeld – auch gegen die Stadt Forchheim. sw