Barrikade als Rutschbahn

Die Drei-Stunden-Gala „KURZschluss“ beendet die zehnjährige Nürnberger Ära von Daniela Kurz' Tanztheater
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Voller Einsatz für das Tanztheater in Nürnberg: Die Opernhaus-Compagnie, die nach der heutigen Vorstellung aufgelöst wird.
Sabine Haymann Voller Einsatz für das Tanztheater in Nürnberg: Die Opernhaus-Compagnie, die nach der heutigen Vorstellung aufgelöst wird.

Nürnberg - Die Drei-Stunden-Gala „KURZschluss“ beendet die zehnjährige Nürnberger Ära von Daniela Kurz' Tanztheater

Abschiede mögen manchmal bitter sein, aber sie haben ja auch was Schönes. Denn da wird in der Regel so selektiv zurückgeblickt wie sonst eigentlich nur am Grab, und der nicht zu unterschätzende Vorteil gegenüber dieser Standardsituation ist, dass die Betroffenen lenkend eingreifen können. Zumal, wenn sie ihre „letzten Worte“ so generalstabsmäßig in Szene setzen wie die Nürnberger Tanztheater-Chefin Daniela Kurz. Mit der Gala „KURZschluss“ ruft die Choreographin, die vor zehn Jahren ihre Art von innerer Bewegung und äußerer Beweglichkeit als zunehmend individuelles Bühnen-Esperanto etablierte, die Zwischensumme der eigenen Phantasie als Retrospektive ab. Eine Selbstbetrachtung aus Fragmenten von elf hier entstandenen Stücken, die als Fingerzeig auf den eigenen Mut funktioniert – als Erkenntnisgewinnmaximierung eher nicht.

Das flott aufgemotzte Aschenputtel, das am Anfang der Dienstzeit noch dem Handlungsballett und somit dem großen Publikum nahe blieb, hat die stets um imagegerechte Wahrnehmung ihrer Erfolge besorgte Spartenchefin ausgeklammert. Die Aufführung, aus heutiger Sicht semikonventionell und womöglich dem Stil verwandt, der ab Herbst in Nürnberg wieder „Ballett“ heißt, könnte das Avantgardemaß gefährden. Also setzt der Adieu-Abend mit der vielgerühmten „Winterreise" (Bayerischer Theaterpreis) ein, die im Ausschnitt allerdings die Erinnerungskraft der Zuschauer braucht, um ihre alte Wirkung aus Kunstlied-Gesang (Bariton Thomas Berau sprang quasi ohne Anlauf) und Körpersprache wiederzubeleben. Am Ende, nach drei Stunden Sauseschritt querfeldein durchs Repertoire, landet die Compagnie beim unwiderstehlichen Finale aus „Wish Eye Wood“ von 2004, der wohl besten Produktion im Kurz-Jahrzehnt. Da kann die bunte Compagnie, befreit von den sonst gelegentlich bleiern an Hand und Fuß hängenden Konzept- und Recherche-Behauptungen, die im Hintergrund aufgebaute Barrikade zur Rutschbahn machen und spielerisch über Dramaturgen-Schlagbäume hinweg toben.

Als ob sie den gelegentlich aufgekommenen Verdacht von Spaß-Resistenz ad absurdum führen wollte, hat Daniela Kurz für ihr Vermächtnis eine überproportional große Menge heiterer Sequenzen ausgewählt, die nun nicht unbedingt Humor, aber viel Sinn für Groteske beweisen. Dabei freilich bestätigen, dass mancher Einfall keiner war. Etwa bei „Mr. Gould, bitte!“, wo ein vervielfältigter Piano-Exzentriker pantomimisch exakt die Hände schlenkert und der Zuschauer dann daheim in der hoffentlich griffbereiten Biografie nachlesen kann, dass er sie vor dem Spielen gern ins heiße Wasser tauchte. Oder das „Schmeckdreckleck“ von Schmutzfink Mozarts Bäsle-Briefen, Jahrzehnte nach „Amadeus“ im Tanzstück „ich bin knall auf fall“ auf verlorenem Provokations-Posten.

Was die Pionierarbeit von Daniela Kurz nicht schmälern, nur relativieren soll. Denn sie hat - ob man das im Einzelfall immer so überzeugend fand wie jubelnde Fans und rezensierende Groupies oder nicht - dem Tanz den stärksten Eindruck verschafft, den er in Nürnberg langfristig je hatte. Auch durch besondere Formate wie die nur in der Foto-Ausstellung wiederkehrende „Kaspar Hauser“-Prozession durch die Altstadt, die sensible Nahansichts-Serie „Zooming“ (die als Ausschnitt im Guckkasten allerdings verläppert) und die Auseinandersetzung mit den suggestiv nach Bildern gierenden Minimal-Opern von Philip Glass.

Wunderbare Kollektive (im Schwung der Piaf-Stimme) und rhythmische Klopf-Konstruktionen sind zu sehen. Mehrfach Bühnenarbeiter, die eine laufende Szene einfach abtragen, weil man sonst nicht zum Ende kommen würde. So entspannt hätte Kurz immer sein sollen.

Tanz-Altmeister Johann Kresnik, der kürzlich gegen das Ausweichen der Sparte ins ästhetisch Unverbindliche wütete, wäre bei Daniela Kurz irritiert. Sie hat gesellschaftliches Bewusstsein auf die Bühne geschleust – und dort oft zugunsten anderer Inspiration wieder verdrängt. Meist unverwechselbar, und darauf kommt`s ja an. Eine Nürnberger Tanztheater-Ära geht zuende. Dieter Stoll

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