AZ-Test: So können Blinde einkaufen gehen

In der Galeria Kaufhof helfen Einkaufsbegleiter sehbehinderten Menschen beim Shoppen. Ein (sehender) AZ-Reporter wagte den Selbstversuch mit einer speziellen Brille, die „Retinitis Pigmentosa“ simuliert, eine unheilbare Krankheit, die Betroffenen Stück für Stück das Augenlicht raubt.
von  Abendzeitung
Regale werden zu quaderförmigen Gebilden, Kunden zu vorbei huschenden Chimären: Die Spezialbrille simuliert eine unheilbare Augenkrankheit.Fotos (2): Joachim König
Regale werden zu quaderförmigen Gebilden, Kunden zu vorbei huschenden Chimären: Die Spezialbrille simuliert eine unheilbare Augenkrankheit.Fotos (2): Joachim König © az

In der Galeria Kaufhof helfen Einkaufsbegleiter sehbehinderten Menschen beim Shoppen. Ein (sehender) AZ-Reporter wagte den Selbstversuch mit einer speziellen Brille, die „Retinitis Pigmentosa“ simuliert, eine unheilbare Krankheit, die Betroffenen Stück für Stück das Augenlicht raubt.

NÜRNBERG Wenn am Mittag draußen nur die Sonnenbrille die Helligkeit erträglich macht, ist das Sanftlicht der Leuchtstoffröhren in der Galeria Kaufhof eine Wohltat. Was aber, wenn es den Augen egal ist, ob es hell ist, dämmrig oder finster? Wenn sie nicht so funktionieren wie bei gesunden Menschen? Wenn Regale zu schemenhaften Umrissen werden, bunte Verkaufsauslagen nur mehr als graue Flächen wahrgenommen werden?

In Kaufhof-Filialen können Menschen mit Sehbehinderung ab sofort einen ganz besonderen Service wahrnehmen: eine Einkaufsbegleitung durch eigens geschultes Verkaufspersonal. Als Sehender wagt der AZ-Reporter den „Blindtest“ mit einer speziellen Brille, die „Retinitis Pigmentosa“ simuliert, eine unheilbare Krankheit, die Betroffenen Stück für Stück das Augenlicht raubt:

Ich sehe erstmal gar nichts mehr – milchiges Licht trübt meine Pupillen. Erst nach ein paar Sekunden kann ich Umrisse wahrnehmen: quaderförmige Gebilde, die wohl Regale sind. Vorbei huschende Chimären: Menschen, Kaufhof-Kunden. „Die schauen uns sicher alle doof an“, frage ich Kathrin. Die bestätigt meinen Verdacht und schubst mich sanft auf die Rolltreppe: „Am Geländer festhalten!“

Ein Paar Jeans will ich kaufen, Größe 34/32, blau und stone washed sollen sie sein. Und ohne Kathrin Weber (21) wäre ich jetzt aufgeschmissen: Die angehende Handelsfachwirtin ist eine von zwölf Nürnberger Kaufhof-Mitarbeiter, die sich um sehbehinderte Kunden kümmern. Ihre Führung durchs Einkaufsgewühl tut gut – ganz wohl ist mir trotzdem nicht.

Meine Augen nehmen nur einen Brei aus Farben und Formen wahr, meine anderen Sinne umso mehr: Gemurmel, Getrippel, vor uns riecht jemand nach Sonnencreme. Alleine hätte ich niemals den weg zur Rolltreppe gefunden, wäre schon längst in andere Kunden gestolpert oder hätte ein Regal umgeworfen. Ich fühle mich hilflos. Einen bestimmten Artikel finden? Gar ein Preisschild entziffern? Pustekuchen!

Ich halte mich an Kathrins freundlich-bestimmte Anweisungen, klammere mich am Geländer fest. Es geht nach oben, wie weit kann ich nicht einschätzen. „Achtung, gleich hört die Rolltreppe auf“, warnt mich Kathrin – ein unsicherer Tritt ins Leere, und ich habe wieder festen Boden unter den Füßen. Wir sind im zweiten Stock angekommen.

Kathrin geleitet mich zum Jeans-Regal, eine Kollegin stößt dazu fragt mich nach dem gewünschten Schnitt: „Gerade bitte, bloß keine Karotte“, sage ich – Eitelkeit hat offenbar nichts mit Sehvermögen zu tun.

Kathrin drückt mir eine Hose gewünschter Größe in die Hand. Eine, die mir auch gefällt? Keine Ahnung... Wenn ich mit der Nasenspitze den Stoff berühre, erkenne ich die Umrisse eines geschwungenen Pappschilds: „Eine Levis 501?“, frage ich. Volltreffer. Die passt, das weiß ich und erspare meiner Führerin den Gang in die Umkleide.

Auch den zum Bezahlen, schließlich ist das ja nur ein Test, und ich brauche gar keine Hose. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass Kathrin auch in der Schlange vor der Kasse nicht von meiner Seite weichen und den passenden Betrag aus meinem Geldbeutel ziehen würde.

Schön, dass es im Kaufhof Menschen wie sie gibt, denke ich. Da habe ich die Brille schon abgenommen und bin wenig später froh über die Mittagssonne, die meinen funktionierenden Augen zusetzt. Steffen Windschall

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