Ausgezeichnete Sommelière vom Tegernsee: "Trinkt mehr deutschen Wein!"
Schöner gelegen kann ein Arbeitsplatz wohl kaum sein: nur ein paar Schritte vom Tegernsee entfernt. Die gebürtige Würzburgerin Marie Christin Baunach (34) ist die Sommelière im Althoff Seehotel Überfahrt in Rottach-Egern. Seit Kurzem darf sich die Weinexpertin sogar "Sommelière des Jahres" nennen. Diesen Titel hat ihr eine Jury bei der Falstaff-Winetrophy 2026 verliehen.
AZ: Frau Baunach, wie sind Sie zu Ihrer Wein-Leidenschaft gekommen?
Marie Christin Baunach: Ich habe die Tradition etwas in der Familie, meine Oma hatte Weinberge, meine Cousine ein Weingut. Aber ich habe es zunächst nicht fokussiert. Mein Schlüsselmoment war definitiv in der Ausbildung zur Hotelfachfrau, als mir ein Sommelier ein Glas Wein zum Probieren gereicht hat. Mich begeistert, wie sich Geschmäcker miteinander verbinden, wie man eine ganze Region oder eine Reise auf einen Tisch packen kann. Man hat das alles vor sich in einem Glas.
Was macht für Sie einen guten Wein aus?
Der Grundstein wird im Weinberg gelegt: die Arbeit des Winzers, der Boden. Besonders gut ist Wein, wenn er Balance hat und einen Charakter zeigt. Etwa ein Wein, der melancholisch stimmt, weil er vom vergangenen Sommerurlaub in der Toskana träumen lässt. Oder Champagner, der anregt und motiviert.

Wein kann also Bilder im Kopf auslösen?
Ich nenne es Aromen-Bilder. Dadurch werden Gefühle und Momente transportiert. Ein Wein ist gut, wenn er emotional berührt. Wie Kunst.
"Ein Glaserl Champagner nimmt fast jeder zu Beginn"
Wie treffen Sie die Auswahl im Restaurant?
Ich arbeite mit vielen Partner-Winzern zusammen, die mich schon lange begleiten. Sie zeigen mir den Weinberg, erläutern, was es in der jeweiligen Region zu essen gibt und was man dazu kombinieren kann. Ich probiere aber auch viel auf Messen: Stimmt die Balance? Stimmt die Säure, die Frische, die Textur?
Welche Weine werden im Überfahrt häufig bestellt? Merken Sie einen Trend?
Ein Glaserl Champagner nimmt fast jeder zu Beginn. Gerade als Aperitif ist Schaumwein essenziell. Dann variiert die Karte je nach Restaurant: Wir haben eine rein italienische Karte im Il Barcaiolo, in der Egerner Bucht mit alpiner Küche wiederum bieten wir Weine aus Deutschland, Österreich und Südtirol an. Im Restaurant Überfahrt servieren wir große Klassiker weltweit – Burgund ist hier ein stark gefragtes Thema. Auch Weine mit dem Siegel des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) wählen die Gäste gern. Allein die Weinkarte im Fine Dining hat 750 Positionen. Insgesamt haben wir circa 1100 Weine im Angebot.
Circa 1100 Weine: "Das Wissen ist immer abrufbar"
Und Sie kennen alle? Könnte man Sie um drei Uhr nachts aufwecken und zu einem bestimmten befragen?
Ja, das Wissen ist verinnerlicht und immer abrufbar. Das ist wie bei einem Koch, der auch um drei Uhr nachts eine Sauce Hollandaise zubereiten könnte.

Was empfehlen Sie zu den Festtagen und Silvester?
Für mich ist grundsätzlich wichtig: Erlaubt ist, was schmeckt. Wenn Tante Hildegard einen restsüßen Rotwein möchte, dann würde ich ihn ihr nicht verwehren, sondern auf die Gäste eingehen. Was immer eine schöne Kombination ist: klassische Fischgerichte – eine Seezunge, ein Steinbutt oder Krustentiere – begleitet von Chardonnay, zum Beispiel aus Burgund. Denn er nimmt die Salzigkeit und Cremigkeit des Gerichts sehr schön auf und bringt mit Ausbau im Holz einen schönen Schmelz und eine samtige Textur hinein. Wildbraten oder Wildschweingulasch würde ich mit einem Sangiovese aus Chianti in der Toskana begleiten. Zu einem Rehrücken oder -keule fände ich deutsche Spätburgunder großartig.
"Wundervolle Kombination": Was zu Käse passt
Was würden Sie noch kombinieren?
Süßweine und Käse finde ich eine wundervolle Kombination. Leider wird nicht mehr so viel Süßwein getrunken und die Winzer produzieren wegen der sinkenden Nachfrage auch weniger. Aber die Leute sollten sich einfach mal trauen und probieren, weil die Süße eine Dimension mitbringt, die andere trockene Weine nicht haben.

Was passt dagegen nicht zusammen?
Was meinen persönlichen Geschmack nicht trifft, sind tanninreiche Rotweine und dazu rohes Eiweiß wie Tatar oder ein Camembert – das bekommt einen metallischen Geschmack und ist für mich persönlich unangenehm. Zum Tatar würde ich einen eleganten Spätburgunder bevorzugen oder einen Kabinettriesling von der Mosel – gerade wenn das Tatar etwas pikant gewürzt ist.
Diese App empfiehlt die Wein-Expertin für den Alltag
Haben Sie einen Tipp, wenn man sich bei der Weinauswahl unsicher ist?
Die App Henris Collection, für die ich auch verkoste. Man kann dort ein Gericht eingeben und erhält den passenden Wein dazu. Zudem erhält man Informationen über das Weingut und eine ausführliche Beschreibung des Weins.
Ich weiß, in München gibt es viele Aperol-Spritz-Liebhaber, aber ich würde eine Weinschorle vorziehen
Was empfehlen Sie für Silvester zum Anstoßen?
Bei den Deutschen liegt Schaumwein ganz weit vorne. In München sieht man viel Champagner und Prosecco – vielleicht sollte man mutig sein und einen tollen, handwerklich produzierten Winzer-Sekt kaufen. Eine Flaschengärung bringt noch mal eine andere Struktur mit sich. Eine solche findet man bei Winzer-Sekt, Corpinnat und Franciacorta.
Haben Sie Tipps für Wein-Anfänger?
Das Etikett verrät uns ganz viel, also nicht nur nach der Optik gehen. Bei einem Weißwein aus dem Burgund sind die Trauben entweder Chardonnay oder Aligoté, es gibt nur diese zwei Optionen. Wenn ich in der Toskana bin, kommt in den Chianti immer Sangiovese rein. Ansonsten: probieren, probieren, probieren – und offen sein.
Weine beschreiben: "Bei Oma im Spätsommer"
Mit welchen Worten beschreibt man Wein beispielsweise?
Ich nutze sehr gern die Aromen-Bilder. Ein Beispiel: Wir haben einen großartigen Süßwein. Dieser schmeckt, wie wenn ich bei der Oma im Spätsommer durch den Garten laufe: Aromen von Brombeeren, Veilchen, englischen Duftrosen, Himbeeren, Heidelbeeren. Nicht gekocht, sondern warm und wohlig.

Haben Sie einen Kater-Tipp, wenn man mal zu viel Wein erwischt hat?
Ich schwöre auf Kokoswasser! Mit viel Kalium und Elektrolyten.
Oder vorbeugend Wasser zum Wein trinken. Wie stehen Sie eigentlich zur Weinschorle?
Ich habe mal gesagt, dass ich Eiswürfel im Wein sehr schwierig finde. Dazu stehe ich. Aber die Weinschorle an sich finde ich ein großartiges und ehrliches Getränk, gerade wenn es heiß ist. Ich weiß, in München gibt es viele Aperol-Spritz-Liebhaber, aber ich würde eine Weinschorle vorziehen.
Innovation bei alkoholfreiem Wein – "spannende" Technologie für die Zukunft
Keine Kopfschmerzen macht alkoholfreier Wein. Wie gut ist der mittlerweile?
Das ist gerade ein heiß umkämpfter Markt. Seit diesem Jahr gibt es eine neue Technologie, die Maschine steht in der Pfalz. Dabei wird der Alkohol durch eine Membran entfernt – unglaublich spannend für die Zukunft! Früher wurde der Wein einvakuumiert und bei niedrigen Temperaturen gekocht, um den Alkohol zu entziehen. Dadurch schmeckte er aber ein bisschen unnatürlich oder nach Konfitüre.
"Mein Herz ist beim Schaumwein"
Wie viel sollte ein guter Wein Ihrer Expertise nach mindestens kosten?
Ich würde als Referenzwert zehn Euro angeben. Nach oben sind die Grenzen offen. Bei uns im Restaurant ist aktuell die teuerste Flasche Wein ein 1961er Bordeaux für 3700 Euro.
Was trinken Sie persönlich gern? Keinen Aperol Spritz offenbar.
Mein Herz ist beim Schaumwein – Sekt, Champagner. Damit macht man mich immer glücklich. Und die Burgunder-Rebsorten: ein Grauburgunder aus Baden, ein Chardonnay, Pinot Noir. Spätburgunder ist die Königin der Rebsorten für mich. Grundsätzlich möchte ich noch sagen: Trinkt mehr deutschen Wein, etwa Weißburgunder statt Lugana. Denn der deutsche Wein steckt in der Krise. Dabei ist er ein Kulturgut und mehr als nur Alkohol.
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