Auftragsmörder wollten ihn töten: Münchner Regisseur über gefährlichen ARD-Filmdreh

Mit seiner Hand auf dem Herzen liegt Axel Milberg als Klemens Stadler in einem spärlich eingerichteten Hotelzimmer mitten in der brasilianischen Savanne Cerrado. Der gerade in Rente gegangene Stahlarbeiter hat seit Tagen kein Auge mehr zugedrückt. Die ersten Sonnenstrahlen fallen durchs Fenster, Kirchenglocken läuten. Eine Deutsch sprechende Anwältin ruft seinen Namen: "Klemens, sie reißen den Urwald ab!"
Keine Sekunde verliert der Vater, springt auf, setzt sich hinter das Lenkrad. In dieser abgelegenen Region mit wenigen Straßen, kaum Mobilfunknetz, sucht er nach seinem spurlos verschwundenen Sohn Jan. Die einzige Fährte: ein Umweltprojekt, für das sein Kind nach Brasilien gereist sein soll.
Regisseur Daniel Harrich aus München bereist monatelang Brasilien
Diese eindringliche Szene des ARD-Thrillers "Verschollen" ist mehr als Unterhaltung. Die Geschichte basiert auf den Erlebnissen des Münchner Regisseurs Daniel Harrich, der vor knapp drei Jahren mit seinem Team für eine Recherche zu Tropenholz in die Savanne Cerrado gereist ist "und festgestellt hat, dass sehr viel unter dem Motto Aufforstung läuft" – unter grünem Deckmantel.
Als Klemens aus dem Wagen steigt, findet er sich auf einem gerodeten Acker wieder – zwischen aufgebrachten Bürgern und gewalttätigen Sicherheitskräften der Umweltprojekte. Im Acker vergraben: die Leiche seines ermordeten Sohnes. Jan hatte das angebliche grüne Projekt wissenschaftlich begleitet und kritische Daten gesammelt. Was er herausfand, kostete ihn das Leben.
"Überall wird plötzlich trotz massiver Landkonflikte aufgeforstet"
Es ist ein Thriller mit wahrem Kern. "Egal, wo wir waren und geschaut haben – überall wird plötzlich wie verrückt in Verbindung mit massiven Landkonflikten aufgeforstet", erinnert sich Harrich an seine Recherchen. Das Muster, das er dokumentierte, ist erschütternd: Große Teile artenreicher Savannenlandschaft werden zerstört, um Monoplantagen aus schnell wachsendem Eukalyptus anzulegen, der CO2 aus der Luft ziehen soll.

Doch gespeichert bleibt das Gas nicht lange: Die Bäume werden später umweltschädlich zu Holzkohle verbrannt. "Wir haben überall diese LKW gesehen und haben sie bis zu Stahlschmelzen verfolgt", erzählt Harrich. Dort wird die Holzkohle als Reduktionsmittel in der Produktion eingesetzt. Das so hergestellte Roheisen wird exportiert und auch in Deutschland weiterverarbeitet. "Wenn der Klimaschutz so pervers ad absurdum geführt wird, verliere ich jede Art von Verständnis dafür."
"Sie rauben den Menschen ihr Land"
Harrich hat seine Erkenntnisse zweifach verarbeitet: Neben dem Spielfilm entstand eine Dokumentation, die direkt im Anschluss ausgestrahlt wird. Darin begleitet der Filmemacher den ursprünglich aus Heidelberg stammenden Geologen Klemens Laschewski, der Umweltkonflikte in Brasilien dokumentiert. "Wir machen eine Arbeit, die die Regierung machen sollte, aber sie macht sie nicht", so der Experte im Film.
Parallel sammelt ein Forschungsteam der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf um Dietrich Darr und Kathrin Meinhold Bodenproben vor Ort. Ihr Befund ist eindeutig: Im echten Cerrado-Ökosystem weisen sie mehr als dreimal so viele Pflanzenarten nach wie in den aufgeforsteten Monokulturen.
Die angeblich grünen Projekte haben verheerende Folgen für die lokale Bevölkerung. Die Monokulturen verbrauchen enorm viel Wasser. Gleichzeitig bedrängen die Betreiberfirmen die Anwohner: Sie sollen ihre Dörfer aufgeben, umziehen. Wer sich weigert, muss um sein Leben fürchten. Der brasilianische Anwalt André Alves da Sousa sagt in der Doku: "Für die Aufforstung rauben die Plantagenbetreiber den Menschen ihr Land."
Auftragsmörder haben Filmcrew bedroht
Während der Recherche berichtete ein Anwohner von der Tötung seines eigenen Sohnes im Zusammenhang mit den "Umweltprojekten", erzählt Harrich. "Sogar diejenigen, die gegen diese Plantagen sind, arbeiten am Ende zum Teil dort, weil sie keinen anderen Job finden." Der Münchner Regisseur war in den letzten zwei Jahren rund sechs Monate in Brasilien – und geriet selbst in Gefahr.
"Wir haben vor Ort den Spielfilm gedreht und sind beim Dreh der Doku ins Visier derer geraten, denen wir auf der Spur waren", sagt Harrich. Auftragsmörder hätten der Filmcrew gedroht. "Es war wie im Wilden Westen und wir wissen nun, was es bedeutet, selbst um sein Leben zu fürchten."
Die gefährlichen Recherchen von Harrich und seinem Team münden im Film in eine starke Schlussszene. Klemens steht am Grab seines ermordeten Sohnes und spricht mit einer Investorin des Umweltprojekts. Sein von Trauer gezeichnetes Gesicht, seine Frage nach Veränderung. Ihre kalte Antwort: "Wir brauchen die Zertifikate – das ist politisch so gewollt." Der Vater bleibt ruhig, fast sprachlos: "Ich werde Sie anzeigen."
Politische Dimension zur Weltklimakonferenz in Brasilien
Gerade die Frage nach Veränderung hat zurzeit eine besondere politische Dimension: Seit Montag tagt in Belém im brasilianischen Amazonasgebiet die UN-Weltklimakonferenz COP30 - zum ersten Mal in der Region, die als "Lunge der Erde" gilt.
Verhandelt wird dort auch über die Tropical Forest Forever Facility, einen milliardenschweren Fonds. "Der Film spiegelt in Teilen genau das wider, was dort gerade verhandelt wird". sagt Harrich. "Wir können etwas verändern, wenn wir den Verhandlern in Belém auf die Finger schauen."
Der Thriller "Verschollen" läuft diesen Mittwoch um 20.15 Uhr in der ARD. Darauf folgt der Dokumentarfilm. Beide Werke sind bereits in der Mediathek abrufbar.