Auf Reise nach Jerusalem

NÜRNBERG - Mit Bellinis „Die Puritaner“ hat Nürnbergs Opernhaus zum Saison-Ende noch einmal die Belcanto-Karte gespielt - diesmal ohne Protest.
Die hohen Beton-Wände auf der Opernhaus-Bühne, von Ausstatterin Monica Frawley dem Abgrenz-Design der israelisch-palästinensischen Mauer nachempfunden, bleiben drei Stunden lang konsequent hässlich, egal ob der Spielplatz davor für Leichenschau, Soldaten-Parade, Schwarzmarkt, Vergewaltigung oder (mit Glühbirnchen-Girlande) zur Hochzeitsparty verwendet wird. Bei letzterer bekommt Dieter Kaegis Inszenierung von Bellinis „Die Puritaner“, einem Belcanto-Mahnmal für den Luftkampf des Schnörkelgesangs, freilich einen gewissen Kick. Denn der Regisseur lässt die Gesellschaft jenes vertraute Rundlauf-Spielchen treiben, wo nach jeder Musikpause ein weiterer Stuhl entfernt wird. Vor dem Nahost-Schutzwall hat der Hinweis auf die „Reise nach Jerusalem“ natürlich besondere Tiefgründigkeit. Könnte man meinen.
Eigentlich spielt alles anderswo, erzählt von undurchschaubaren Kämpfen im englischen Bürgerkrieg, zwischen denen aber noch Raum genug bleibt für dramatische Liebes-Wirren. Ausschließlich dafür – die wahnsinnig werdende Braut zwischen dem guten Tenor und dem bösen Bariton – interessiert sich die Nürnberger Inszenierung, indem sie das Umfeld einfach mit Gegenwarts-Behauptungen uniformiert. Man kann nicht sagen, dass wichtige Einsichten verbaut oder befördert werden, denn damit kann das Stück sowieso nicht dienen. Bellinis Oper ist ein Schmachtfetzen, der keine Gedanken bewegt, allenfalls Kehlköpfe herausfordert. Ein Grundton von Weinerlichkeit liegt wie Zuckerglacur über der Musik, die mit aparten Details und artistischen Zuspitzungen immer wieder, aber eben keineswegs durchgehend fesselt.
Guido Johannes Rumstadt zieht vom Orchester-Pult aus zunächst eine zweite Mauer hoch, denn er lässt im ersten Teil die Philharmoniker so aufbrausen, dass Solisten und Chor wie hinter akustischem Glas auf Fernbeziehung zum Publikum reduziert sind. Klangregie mangelhaft. Es hat also Sinn, wenn Mozart-Tenor Tilman Lichdi, ehe er mit viel Stimmtechnik unfallfrei fremde Gipfel der Italo-Oper anschleicht, beim Mutmacher-Text „Du Unverschämter, ich fürchte dich nicht“ eindeutig den Dirigenten anschaut.
Die Bariton-Konkurrenz muss er sowieso nicht fürchten. Von Melih Tepretmez (Oberst und gewalttätiger Nebenbuhler) über Rainer Zaun (Gouverneur) bis Nicolai Karnolsky (Elviras Onkel) bleiben sie alle in passablen Annäherungswerten. Die Rarität eines Duetts dunkler Herren-Stimmen, als trompetende Bariton-Rauferei eingefädelt, bleibt am majestätischen Bibbern hängen, dessen Pathos sich die Regie mit breitbeinigem Fahneneid unterwirft.
Dieter Kaegi, der die Produktion später an seine Opera Ireland in Dublin übernehmen will, gelingt das suggestive Tableau nicht, er inszeniert mit wimmelnden Kleinigkeiten gegen die große Banalität der Story an. Eine Detonation jenseits der Partitur gehört dazu, doch vorrangig wird am Detail gefummelt. Elvira, die sich für den Wahnsinn auf offener Bühne die passende Frisur hinstruwwelt, horcht dann mal zu den eigenen Koloraturen in den Transistorradio.
Hrachuhí Bassénz, eben noch die Nürnberger Csárdásfürstin, bewältigt die Serpentinen-Bravour mit gepflegter, alle Facetten antippender, aber beim dramatischen Ausbruch bedeckt bleibender Stimme. Respekt für sie wie für den etwas orientierungslos über die Bühne schlendernden Partner Lichdi, auch wenn beide den emotionalen Alleingängen des Orchesters nicht folgen mögen. Belcanto hat eben individuelle Grenzen.
Das Publikum applaudierte sehr freundlich. Dieter Stoll
Nächste Termine: 7., 10., 13., 22., 24.7. , dann wieder 27.9. – Karten Tel. 0180-5-231600.