Armbrust-Prozess: Freundin des Opfers hörte alles mit
17-Jährige konnte sich im bizarren Prozess um Nürnbergs schlimmste Familie kaum erinnern.
NÜRNBERG Der Prozess um Nürnbergs schlimmste Familie – er wird immer verwirrender. Gestern war die Freundin (17) des Opfers im Zeugenstand. Doch sie konnte sich kaum an die Einzelheiten dieses bizarren Falles erinnern. Dabei war sie es, die die Tat im Februar letzten Jahres live am Handy mitgehört hat...
Karin R. (38) und ihr ältester Sohn Mark (19) sind wegen des gemeinschaftlichen Mordanschlags mit einer Armbrust angeklagt (AZ berichtete): Sie hatten wohl eine heimliche Inzest-Affäre, die der zweite Sohn Michael (18) mitbekommen hat. Dafür sollte er, so die Anklageschrift, sterben.
Eigentlich hätte die Schülerin bereits am Montag vor Gericht erscheinen sollen. Doch die Vorladung hatte sie schlichtweg ignoriert. Nachdem sie Richter Hans Neidiger am Abend telefonisch noch zu verstehen gegeben hatte, auch den gestrigen Termin nicht wahrzunehmen, zog der die Notbremse. Ein Polizeibeamter brachte die junge Frau in den Sitzungssaal.
Schon vor ihrem Auftritt war längst klar, dass das Mädchen ihren Freund, das spätere Opfer, zur Wohnung von dessen Mutter begleitet hatte. Dort sollte zwischen der Frau und ihrem Sohn eine Aussprache stattfinden, die jedoch eskalierte. Der junge Mann, der seinen Bruder Mark und Mutter Karin R. vorher des Inzests bezichtigt hatte, wurde wohl aus Rache von den beiden mit einer Armbrust niedergestreckt, aber zum Glück nur relativ leicht verletzt.
Seine Freundin, die unten vor dem Haus wartete und per eingeschaltetem Handy den Streit mitverfolgte, rief die Polizei. „Ich habe so etwas Ähnliches wie einen Schuss gehört“, sagte sie gestern vor Gericht. Das war aber auch so ziemlich das einzig Konkrete, was ihr über die Lippen kam. Zu der bizarren Beziehung zwischen Karin R. und deren Sohn Mark fielen ihr dagegen nur äußerst vage, kaum verwertbare Beobachtungen ein.
Dafür platzte plötzlich Siegfried S. (22), ein Patient aus dem Erlanger Bezirkskrankenhaus, in den Prozess. Telefonisch hatte er vorher angekündigt, über brisantes Wissen über den Fall zu verfügen – und war deshalb von Richter Neidiger als Zeuge vorgeladen worden. Der etwas verwirrt wirkende Mann präsentierte ein zweiseitiges Schreiben, bei dem es sich entweder um ein hochbrisantes Dokument aus der Feder der angeklagten Mutter stammt – oder um eine Fälschung, die das Verwirrspiel nur noch größer macht. Richter Neidiger stellte Kopien des Schreibens den Prozessbeteiligten zur Verfügung, will es inhaltlich aber erst am nächsten Verhandlungstag, morgen, genauer unter die Lupe nehmen lassen.
Wie am Rande des Prozesses durchsickerte, soll das Schreiben auf unbekannten Wegen ihrem mitangeklagten Sohn in der U-Haft zugespielt worden sein. Darin soll Karin R. unter anderem auch das Inzestverhältnis zu ihm ansprechen. Mark wiederum hätte es einem Mithäftling weitergereicht, und der wiederum an den jetzt in der Psychiatrie sitzenden Siegfried S. Und der meldete sich schließlich bei Gericht. Ein seltsamer Vorgang, doch in dem Prozess ist Vieles seltsam. Helmut Reister
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