Andreas Zapf warnt vor Leichtsinn im Kampf gegen Corona

Der Präsident des LGL Bayern, Andreas Zapf, warnt im AZ-Interview vor Leichtsinn im Kampf gegen die Pandemie. Welche Lockerungen er befürwortet, was er rät.
von  Ralf Müller
AZ-Interview mit Andreas Zapf. Der Facharzt für Innere Medizin und Öffentliches Gesundheitswesen ist Präsident des Bayerischen Landesamts für Gesundheit.
AZ-Interview mit Andreas Zapf. Der Facharzt für Innere Medizin und Öffentliches Gesundheitswesen ist Präsident des Bayerischen Landesamts für Gesundheit. © LGL

München - AZ-Interview mit Andreas Zapf: Der Facharzt für Innere Medizin und Öffentliches Gesundheitswesen ist Präsident des Bayerischen Landesamts für Gesundheit.

AZ: Herr Doktor Zapf, die Corona-Infektionszahlen in Bayern gehen offenbar beständig zurück. Viele meinen daher, die Pandemie sei vorbei. Ist das so?
ANDREAS ZAPF: Die Entwicklung der Zahlen ist erfreulich. Dies zeigt, dass die von der Bayerischen Staatsregierung ergriffenen Maßnahmen wirken. Erfreulich ist auch, wie diszipliniert sich die Menschen in Bayern an die auferlegten Einschränkungen gehalten haben. Aber natürlich trägt jeder weiterhin Verantwortung. Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Daher ist es wichtig, dass jeder auch weiterhin die Abstandsregeln, die Maskenpflicht und die Husten- und Niesetikette einhält. Und auch bei "normalen" Erkältungssymptomen wie Schnupfen oder Husten gilt weiterhin: zu Hause bleiben und telefonisch den Hausarzt kontaktieren.

Lockerungen und Öffnungen: Wie hoch ist das Infektionsrisiko?

Es wird überall gelockert, auch an den Grenzen. Haben Sie damit Bauchschmerzen?
Aus epidemiologischer Sicht sind die Lockerungen natürlich mit etwas Bauchschmerzen verbunden, aber der Lockdown hat ja auch weitreichende wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Folgen. Dies muss immer in der Gesamtheit betrachtet werden, insofern denke ich, dass wir in Bayern ein gut abgestimmtes Gesamtkonzept haben. Wir öffnen nach und nach und beobachten dabei ganz genau, wie sich die Fallzahlen in den Landkreisen entwickeln.

Soll man Schulen und Kitas jetzt wieder ganz öffnen?
Ich halte es für richtig, wenn Schulen und Kitas in Stufen geöffnet werden, auch wenn ich weiß, dass wir den Kindern damit viel zumuten. Aber gerade bei kleineren Kinder lassen sich die Hygiene- und Abstandsempfehlungen nicht so ideal umsetzen. Zwar erkranken Kinder, nach allem, was bekannt ist, nicht so stark, und es gibt auch Hinweise, dass die möglicherweise eine geringere Rolle bei der Übertragung von Sars-CoV-2 spielen als Erwachsene. Die Öffnung sollte jedoch wegen der noch bestehenden Unsicherheiten vorsichtig und unter Beobachtung der Situation erfolgen.

AZ-Interview mit Andreas Zapf. Der Facharzt für Innere Medizin und Öffentliches Gesundheitswesen ist Präsident des Bayerischen Landesamts für Gesundheit.
AZ-Interview mit Andreas Zapf. Der Facharzt für Innere Medizin und Öffentliches Gesundheitswesen ist Präsident des Bayerischen Landesamts für Gesundheit. © LGL

Wie hoch ist das Infektionsrisiko, das von den Demonstrationen dieser Tage ausgeht?
Wir wissen, dass Großveranstaltungen eine sehr große Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen. Auch wenn die Demonstrationen nun unter freiem Himmel stattfinden, die Menschen stehen dicht gedrängt, es gibt mitunter laute Protestrufe und dann können einige wenige sehr schnell sehr viele Menschen anstecken.

Die bayerische Hotellerie drängt auf Öffnung des Wellnessbereichs, weil sie gegenüber Österreich ins Hintertreffen zu geraten fürchtet. Wie gefährlich sind Sauna und Schwimmbad?
Ich kann das Ansinnen der bayerischen Hotellerie verstehen, daher wird auch mit Hochdruck an einem Konzept für die Öffnung von Thermen und Wellnesseinrichtungen gearbeitet. Es bringt aber nun ja nichts, etwas zu überstürzen und dann wieder einen Schritt zurück gehen zu müssen. Viele Schwimmbäder konnten unter Einhaltung strenger Hygieneregeln bereits wieder öffnen.

"Ich appelliere an jeden, die Auflagen weiter zu befolgen"

Wo sehen Sie derzeit das größte Risiko eines neuerlichen Ausbruchs?
Es ist ja kein Geheimnis, dass immer da, wo sich viele Menschen auf engem Raum treffen und kein Abstand gehalten wird, ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, insbesondere in geschlossenen Räumen. Insofern ist es richtig, dass die Lockerungen in Schulen oder in der Gastronomie beispielsweise mit strengen Hygienekonzepten verbunden sind und die Besuchsverbote in Altersheimen nur unter strengen Auflagen wieder aufgehoben werden. Ich appelliere daher nochmal an jeden Einzelnen, die Auflagen weiterhin zu befolgen und auch im privaten Rahmen die Empfehlungen weiterhin einzuhalten.

Immer wieder melden Leser Zweifel am Sinn von Vorschriften an und beanstanden Widersprüchlichkeiten. So darf man wohl bald in vollen Flugzeugen in den Urlaub fliegen, aber die Oma nur sehr eingeschränkt besuchen. Welche Beschränkungen machen keinen Sinn (mehr) und wo müsste man sogar nachschärfen?
Ich glaube gern, dass einzelne Maßnahmen in der Bevölkerung unterschiedlich bewertet werden – wahrscheinlich spielt auch eine Rolle, was einem selbst persönlich wichtig ist. Ich glaube aber, dass wir ein wirklich gutes Gesamtkonzept entwickelt haben. Ziel muss weiterhin sein, die vulnerablen Gruppen zu schützen und unser Gesundheitssystem nicht zu überfordern und gleichzeitig den Menschen wieder mehr Freiheit und Bewegungsspielraum zu ermöglichen.

"Wir sind noch nicht über den Berg"

Immer wieder gibt es Stimmen auch von Fachleuten, die auf "Herdenimmunität" setzen. Wie realistisch sehen Sie das?
Der Weg einer Herdenimmunität kam für uns nie in Frage. Ich glaube nicht daran, dass es möglich ist, die ältere Bevölkerung und jüngere Menschen mit Vorerkrankungen damit zu schützen.

Wie hoch bewerten Sie das Risiko einer "zweiten Welle" und wie könnte diese aussehen?
Leider kann ich nicht in die Zukunft schauen. Aber klar ist, dass wir, und damit meine ich jeden einzelnen von uns, alles versuchen müssen, damit es dazu nicht kommt. Das heißt, wir sollten die Hygieneempfehlungen und Beschränkungen weiterhin einhalten, denn noch gibt es keinen Impfstoff und kein wirksames Artzney. Wir sind noch nicht über den Berg.

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