Am Brautbett ist nix los
Es ging schon mal gerechter zu bei Opern-Premieren: Jubel und Buh-Rufe: Wagners „Lohengrin“ spaltet in Nürnberg Künstler und Publikum.
Das Pech bleibt der Nürnberger Oper treu, aber tendenziell geht es eindeutig aufwärts: Fehlten bei Glucks „Alceste“, der vorherigen Neuinszenierung, am Premierenabend zwei Hauptdarsteller, so war diesmal bei Wagners „Lohengrin“ nur einer abhanden gekommen. Allerdings fiel der Titelheld genau acht Stunden vor Beginn der Vorstellung aus. Böses Omen für eine ohnehin im innerbetrieblichen Hahnenkampf zwischen Michael Simon (Regie und Bühne) und Christof Prick (musikalische Leitung) wankende Aufführung – doch glücklicherweise lässt sich Kunst nicht berechnen. Der eingesprungene Scott MacAllister war ein silberhell glänzender Schwanenritter ohne Angst vor Puppen-Doubles, die Inszenierung gewann ihrem videospielerischen Umgang mit Frauen-Träumen und Männer-Phantasien einige starke Szenen ab und der Dirigent ließ sich beim Rampen-Aufmarsch die Chance zu martialisch auftrumpfender Ritterspiel-Poesie nicht entgehen. Am Ende blieb er demonstrativ im Orchestergraben und so bekam – nachdem die Sänger bejubelt waren – das Regie-Team seine Buh-Abreibung ganz allein. Es ging schon mal gerechter zu bei Opern-Premieren.
Das schlichte Märchen von der verängstigten Jungfrau, die in höchster Bedrängnis von einem edlen Fremden im Schwanen-Schnellverkehr gerettet, dann aber auch gleich ohne Angabe von Name und Herkunft geheiratet wird, hat die Spötter stets so sehr inspiriert wie die Wagnerianer. „Wann geht der nächste Schwan?“, schrieb der Heldentenor Leo Slezak einst nach vielen Auftritten im sagenhaften Beziehungsdrama. Womöglich haben die (anfangs mild, später wild) protestierenden Premierenbesucher ähnlich despektierlichen Witz hinter dem besonderen Blick des Regisseurs vermutet.
Dabei wollte der vielseitige Michael Simon, der aus seiner Bühnenbildner-Position heraus in alle Sparten vom Musical bis zum Schauspiel springt, eher die Bereicherung als die Zerstörung der Fantasy-Kolportage. Er zeigt eine grimmig verspielte Männer-Welt, die der König vom Strategen-Parkplatz aus modellbaumeisterlich lenkt. Die Elsa von Brabant ist dort auf verlorenem Posten, muss sich ihren Helden herbeiträumen und, wenn sie ihn mit der verbotenen Frage wieder in die Flucht geschlagen hat, den toten Bruder zum Happy-End-Ersatzdienst antreten lassen.
Viel Freiraum für die Phantasie
Der Regisseur hat mit einer ständig ineinander fließenden Mischung aus Live-Video und Film-Konserve die Verschiebung von Wahrnehmungs-Ebenen bei den Figuren, aber auch beim Publikum angestoßen. Eingeblendete Regieanweisungen des Komponisten (undurchführbar, aber vielsagend) rempeln zusätzlich gegen die Sehgewohnheit. Und die Spielzeugfiguren, die in vergrößerten Bildern oft wie Opfer riesiger Kolosse, aber manchmal eben nur wie augenzwinkernde Illustrationen wirken, öffnen der Phantasie viel Freiraum.
Die zwei zentralen Puppen (von Joachim Torbahn gebaut, von Tristan Vogt geführt) könnten nicht eindeutiger sein. Das Phantom Lohengrin wird zum Menschen, sobald es ins Brautgemach vorgelassen wird. Dort am Ehebett passiert dann allerdings, wie uns eine improvisierte „BigBrother“-Schaltung ernüchternd zeigt, gar nix. Elsa, eben noch euphorisch auf Shopping in der Brautboutique, steht herum und fragt dumm.
Von da an fällt die Inszenierung allmählich in sich zusammen, denn kein Mensch kann beim Blick auf die Bühne mehr unterscheiden, wo der Verfremdungswille der Regie aufgehört und die Rampen-Tyrannei des Dirigenten begonnen hat. Zu sehen ist ein ständig weit vorne platzierter Oratorien-Chor, der von Fall zu Fall dem Ensemble für gleichartiges Spalier-Singen Platz macht. Die Poesie der Reize zerrinnt, wo die Spur nur noch Standbild und Soundtrack hat, wird aber im Schlussbild nochmal stark beschworen.
Während die Regie mit neugierigem Blick ins Kleine strebt, sucht Christof Prick mit der Autorität des Routiniers das Große. Er führt die Philharmoniker zum überbordend vitalen Klang, den der Chor noch übertrumpft. Imposant ist das.
Das Sänger-Ensemble hat mit Jürgen Linn und Ruth-Maria Nicolay ein wuchtiges Schurken-Paar. Anna Gabler (Elsa) und Gudo Jentjens (König) kämpfen bei ihren Rollen-Debüts um Durchschlagskraft, beim Heerrufer von Jochen Kupfer kommt sie aus allen Poren.
Die Aufführung hat was – und könnte doch so viel besser sein.
Dieter Stoll
Nur fünf weitere Termine: 18. und 22.5., 1. und 8.6., 13.7.
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