Als Albrecht Dürer auf dem Sofakissen landete

Nürnberger Spurensuche einer Kitsch-Ikone: Mit „Betenden Händen“ in ein „absolutes Neuland“. Die Reaktionen auf die Fragebogenaktion zeigt erstaunliche Rückläufe: Eine Dame ritzte auf der Rückseite eines „Hände“-Souvenirs ihre Liebhaber ein, ein Arzt verband das Bild mit einem frommen Wunsch im Alltag: „Herr, lass Hirn regnen!“.
von  Abendzeitung
Gewebter Glauben: Dürers „Betende Hände“ als Kissen.
Gewebter Glauben: Dürers „Betende Hände“ als Kissen. © az

Nürnberger Spurensuche einer Kitsch-Ikone: Mit „Betenden Händen“ in ein „absolutes Neuland“. Die Reaktionen auf die Fragebogenaktion zeigt erstaunliche Rückläufe: Eine Dame ritzte auf der Rückseite eines „Hände“-Souvenirs ihre Liebhaber ein, ein Arzt verband das Bild mit einem frommen Wunsch im Alltag: „Herr, lass Hirn regnen!“.

Die ringenden Hände der Macher aus dem Nürnberger Dürer-Hauptquartier darf man sich getrost dazudenken, wenn in den kommenden Monaten „Betende Hände“ und ihr bleibender Eindruck in deutschen Wohn- und Schlafzimmern untersucht werden sollen. Denn die Zeichnung, die Dürer vor 500 Jahren als Hand-Studie eines Apostels für den Frankfurter Heller-Altar auf ein DIN A4-Blatt anfertigte und die nach dem Zweiten Weltkrieg zur führenden Kitsch-Ikone aufstieg, ist zur Verwunderung aller eine Leerstelle geblieben, kunsthistorisch und volkskundlich. „Dieses Motiv ist weitgehend unerforscht“, meint Kulturreferntin Julia Lehner und spricht vom „absoluten Neuland“.

Von der Fragebogenaktion, die soeben in Gang gesetzt wurde, sollen sich Tattoo-Studios (auch diese Form von Dürer-Stich findet seine Freunde) ebenso angesprochen fühlen wie Seniorenheime. Erste Rückläufe bestätigen die Bandbreite. Eine Dame ritzte auf der Rückseite eines „Hände“-Souvenirs ihre Liebhaber ein (und schmirgelte die nicht erfüllten Hoffnungen auch wieder weg), ein Arzt verband das Bild mit einem frommen Wunsch im Alltag: „Herr, lass Hirn regnen!“

„Herr, lass Hirn regnen!“

Für Kulturreferat und Germanisches Nationalmuseum, das ab 10. Juni „Betende Hände“ in jeder Form (ob Sofakissen oder Schokoladentafel) begutachtet, ist es die „letzte Chance“, einem zeitgeistlichen Massenphänomen „auf die Spur zu gehen“. Das hatte, ausgelöst in der Nazi-Zeit, im Wirtschaftswunder-Deutschland seinen Höhepunkt. Offen ist also, wieviel Reliefs und Weihwasserkessel heute noch im privaten Raum hängen.

Die Hintergründe sollen ab 22. November unter dem Titel „1000 mal kopiert“ im Kunsthaus ausgeleuchtet werden. Im Verbund mit Untersuchungen zu Dürers Vorlage und Antworten heutiger Künstler. Nach Hörl-Hasen und Eva-Laufsteg auf dem Hauptmarkt also ein Rückzug vom Spektakel ins Innere des Volksgeschmacks? Keine programmtische Kehrtwende, antwortet Julia Lehner: „Wir haben nie die Formate für alle Zeiten festgelegt.“ Demnächst aber hilft nur beten.

daer

Infos: www.duerer.nuernberg.de

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