Alles über Rockerbanden in Bayern

AZ: Herr Roth, Innenminister Herrmann schätzt die Rocker-Szene im Freistaat auf 1500 Mann. Wie viele davon sind kriminell?
JÜRGEN ROTH: Das ist schwer zu sagen, weil es nur in Einzelfällen Verfahren gibt – wegen Raubes, wegen Drogenhandels, wegen Waffenhandels und natürlich wegen Erpressung. Aber man kann durchaus Vergleiche zur italienischen Mafia ziehen: Nicht jeder, der zu einer Mafia-Familie gehört, ist kriminell. Allerdings sind viele Unterstützer für die kriminellen Operationen einzelner Mitglieder.
Wie hat man sich einen bayerischen Rocker vorzustellen? Das ist eher ein Phänomen von sozial Deklassierten, von gesellschaftlichen Außenseitern, die in dieser Gemeinschaft Stärke und Identifikation finden. Es gibt sicher auch ein paar Rechtsanwälte und Banker darunter – aber das ist eher die Ausnahme. Bei den Bandidos wüsste ich niemanden, bei den Hells Angels noch eher.
Wie wird man Mitglied einer Rocker-Bande?
Über eine Anwärterschaft, da müssen Sie sich bewähren.
Wie?
Manche sagen, man muss einen Raubüberfall – bei den Bandidos vielleicht auch einen Mord – begangen haben. Dann steigt man unter Umständen sehr schnell auf. Aber im Prinzip macht man erstmal die Drecksarbeit: Schutzgelderpressung zum Beispiel – da nimmt man jemanden, der aufsteigen will und sich durch Gewalt und Schlägereien entsprechend profiliert. Das gilt aber nicht für alle Charter und Chapter. Es gibt auch welche, die harmlos sind, nichts Kriminelles machen und nur Männlichkeitsrituale ausleben wollen. Aber die sind selten.
Wie erklären Sie sich, dass die Mitgliederzahlen der Rocker-Clubs stetig wachsen?
Es gibt immer mehr sozial Ausgegliederte. Außerdem spielt wohl immer noch diese Ideologie der Freiheit eine gewisse Rolle. Dass die Männer halt glauben, sie könnten machen, was sie wollen, weil sie das Dach der Gruppe über sich haben, das sie in jeder Beziehung schützt. Der Club als eine Art Familienersatz. Das kennt man ja ebenfalls von der italienischen Mafia.
Ist es genauso schwer, die Rocker-Familie zu verlassen wie den Mafia-Clan?
Die Faszination, ein bisschen außerhalb der Gesellschaft zu stehen, ist sehr stark. Und die Resozialisierung von Hells Angels oder Bandidos ist vergleichsweise schwierig. Es ist zwar nicht so wie bei der Mafia, dass ein Aussteiger befürchten muss, umgenietet zu werden. Aber man muss Zivilcourage haben und die Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs außerhalb der jeweiligen Gruppe. Aber schauen Sie sich die Leute doch mal an: aufgepumpt, tätowiert, da ist es schon schwierig, in die normale Gesellschaft integriert zu werden. Weder auf dem Golfplatz noch in der Oper wird man diese Leute finden. Sie sind schon aufgrund ihres Äußeren Außenseiter.
Bei der letzten Razzia in Bayern hatten die Fahnder neben Hells Angels und Bandidos auch die Mongols im Visier. Wer ist das?
Das ist im Wesentlichen eine ethnisch organisierte Bande, in der vor allem Türken, Kurden und arabischstämmige Familien das Sagen haben. Hells Angels und Bandidos haben ihren Ursprung in Amerika.
Woher kommen die Mongols?
Die ersten Gruppen haben sich in Holland gebildet. Heute sind sie in Berlin und Bremen am mächtigsten. Im Vergleich zu Hells Angels und Bandidos sind sie nicht bundesweit vertreten und auch nicht weltweit organisiert. Regional spielen sie aber durchaus eine Rolle, was Gewalttätigkeit und Aufteilungskämpfe angeht.
Wo sind die Rocker in Bayern besonders aktiv?
In Franken. Da sind die Hells Angels sehr aktiv, insbesondere im Rotlicht-Milieu, vor allem im ländlichen Bereich. In München spielen sie keine allzu große Rolle, weil dort die polizeiliche Kontrolle sehr intensiv ist. Auch die Bandidos sind vor allem im nordbayerischen Raum angesiedelt.
Droht bei uns auch ein Rocker-Krieg?
Nein. In der Gegend um Hof und Nürnberg gibt es zwar Machtkämpfe, aber keinen „Krieg“, wie man ihn aus Duisburg kennt. In Franken ringen Hells Angels und Bandidos um die Türen und den Rotlicht-Bereich. Aber bisher hat man sich die Märkte immer untereinander aufgeteilt, damit man sich nicht ins Gehege kommt. Das funktioniert bis jetzt relativ gut. Außerdem ist die soziale Situation in Bayern eine ganz andere als in Nordrhein-Westfalen: Man hat in Bayern gar nicht die Möglichkeit, so große Gruppen in sozial deklassierten Regionen zusammenzutrommeln.
Trotzdem sind die Rocker auch bei uns Dauer-Thema.
Hells Angels und Bandidos fallen halt auf – und das unterscheidet sie von anderen kriminellen Gruppen und Organisationen: ihr relativ geringes intellektuelles Niveau, dass sie sich ihre kriminellen Geschäftsfelder immer mit Gewalt erobern wollen. Das haben andere kriminelle Organisationen nicht nötig. Die sind klüger, fallen nicht auf und tauchen deshalb nicht so häufig auf dem Radar der Ermittlungsbehörden auf.
Heißt das: In Bayern sind eher intelligente Verbrecher am Werk?
Aber zu 100 Prozent. Das betrifft den Bereich der Wirtschaftskriminalität und die italienische Mafia, die nicht mehr mit Gewalt, sondern viel geschickter arbeitet. Die ist sicher mächtiger und einflussreicher als die Rocker-Banden. Der Staatsanwalt von Kempten hat einmal gesagt, es gebe Bereiche, in denen die italienische Mafia die territoriale Herrschaft übernommen hat. Das gibt es in Bayern bei Hells Angels und Bandidos nicht.
Dafür organisieren die Rocker Familienfeste, sammeln Spenden – und neulich saß der Pressesprecher der Hells Angels bei Sandra Maischberger im Studio.
Das machen doch alle, auch die NPD. Charity-Veranstaltungen und Spendenaktionen für krebskranke Kinder sind ein gutes Instrument der Propaganda. Man versucht, sein katastrophales Image aufzupolieren. Aber diese positiven Aktivitäten sind nur ein Alibi.
Sind Razzien wie zuletzt eine Möglichkeit, das Treiben der Rocker einzudämmen?
Polizei-Aktionen stören die Kreise in erheblichem Umfang. Aber Vereinsverbote und die Einziehung der Vermögen sind die einzig wirksamen Instrumente, um sie zu bekämpfen.
Sind die Clubs denn so reich?
Das ist unterschiedlich. Die in Frankfurt waren sehr reich, die konnten 17 Millionen für ein Laufhaus locker hinlegen – und zwar cash.