Ärztin pleite, weil sie ihren Patienten nicht schaden will!
Dr. Marie-Luise Adam eröffnete ihre Praxis in Nürnberg vor zehn Jahren. Jetzt muss sie wieder schließen.
NÜRNBERG Manchmal kann Dr. Marie-Luise Adam die Tränen einfach nicht unterdrücken. Manchmal ist es einfach zu schlimm, wenn sie abends allein an ihrem Schreibtisch sitzt. Zehn Jahre, nachdem sie sich mit guten Vorsätzen als Praktische Ärztin in Nürnberg niedergelassen hat, ist sie praktisch pleite. Ihre Praxis in der Kopernikusstraße im Stadtteil Lichtenhof wird sie wohl Mitte Januar schließen müssen. „Seit Jahren verdiene ich nichts. Das Einzige, was sich auf meinem Konto anhäuft, sind Schulden“, sagt sie.
Keine Ärztin, die "einfach was aufschreibt"
Der Grund für ihr wirtschaftliches Scheitern ist aus ihrer Sicht besonders bitter: „Ich habe mich geweigert, bestimmte Dinge zu verschreiben – aus dem einzigen Grund, um meinen Patienten nicht wissentlich zu schaden.“
Sie hat reihenweise Patienten verloren, weil sie keine Ärztin sein wollte, die „einfach was aufschreibt“. Stattdessen nimmt sie sich viel Zeit für ihre Patienten: „Wenn es sein muss, erkläre ich auch drei Mal, warum Spritzen unter Umständen nicht die beste Therapie bei Schmerzen sind.“ Eigentlich, hat sie gedacht, müssten die Patienten doch Schlange stehen, weil ihnen endlich jemand zuhört. Doch das Gegenteil war der Fall.
"Was sind denn Sie für ein Arzt?“
Beispiel Erkältung: „Hier ist ärztliches Eingreifen oft gar nicht erforderlich“, sagt Dr. Adam. „Die Beschwerden gehen fast immer von alleine weg.“ Doch ihre Patienten forderten immer wieder, sie solle ihnen Antibiotika verschreiben – obwohl die bei Virus-Infektionen überhaupt nicht wirken. „Was sind denn Sie für ein Arzt?“, habe ein Patient gebrüllt, habe die zehn Euro Praxis-Gebühr vom Schreibtisch gegrapscht und sei aus der Praxis gestürmt.
Doch für Marie-Luise Adam hat ihre Weigerung einen wichtigen Grund: Weil Bakterien durch den massenhaften Gebrauch von Antibiotika Resistenzen entwickeln, können zum Beispiel Infektionen mit Krankenhaus-Keimen oft nicht mehr gestoppt werden – tausende Menschen sterben jedes Jahr daran, Infektions-krankheiten sind in der „Hitliste“ der Todesursachen wieder auf dem Vormarsch.
All das sagt die Ärztin ihren Patienten auch immer. Viele Kollegen, vermutet Marie-Luise Adam, nehmen sich keine Zeit mehr, um ihren zweifelnden Patienten zu erklären, dass gegen ihre Erkältung kein Kraut gewachsen ist. Das schnelle Rezept für ein Antibiotikum löse das Dilemma.
Überflüssige Behandlungen ohne therapeutischen Effekt
Beispiel Tinnitus und Hörsturz: In vielen Praxen sei es gang und gäbe, Infusionen zu verordnen. „Das ist nicht nur überflüssig, sondern schädlich“, sagt die Ärztin. Man setze sich der Gefahr einer allergischen Reaktion aus, ohne therapeutischen Effekt. Dennoch macht sie bei den Wochenend-Diensten in der Bereitschafts-Praxis die Erfahrung, dass ganze Räume mit Patienten belegt sind, die eine Infusion gegen Hörsturz bekommen.
Beispiel Hormone: Würden Sie wegen Schweiß-Ausbrüchen Krebs riskieren? Viele Frauen in den Wechseljahren tun das, sagt Dr. Adam. Sie verschreibt keine Hormone, um leichte Beschwerden zu lindern, weil sie das Brustkrebs-Risiko erhöhen. „In vielen Ländern kennt man die Wechseljahre überhaupt nicht. Bei uns sind sie eine Krankheit.“ Sie kennt über 80-Jährige, die noch immer Hormone nehmen. Denn die schieben die Schweiß-Ausbrüche und den Östrogen-Entzug nur hinaus. Hört man mit den Hormonen auf, sind sie wieder da.“
Beispiel neue Artzney: Viele Patienten sind sicher – sie helfen besser als ältere. Das muss nicht sein. Immer wieder mussten solche Mittel von den Behörden zurückgezogen werden, weil sie sich als unsicher erwiesen haben. Besonders gefährlich war Vioxx – Tausende haben durch Vioxx einen Herzinfarkt erlitten. Dr. Adam hatte von Anfang an Bedenken. Sie hat Vioxx nie verschrieben. Aber damit waren viele Patienten ganz und gar nicht zufrieden.
Von zehn Millionen Migräne-Patienten, kennt nur jeder zweite die Ursache
Marie-Luise Adam glaubt, dass auch wegen dieser Verschreibe-Praxis Geld fehlt, um die wirklich wichtigen Dinge im Gesundheits-System voranzubringen.
Beispiel Diabetes: Seit 20 Jahren wisse man, wie man die vier Millionen Zucker-Kranken in Deutschland vor schweren Folge-Erkrankungen wie Erblindung, Nierenversagen oder Bein-Amputation bewahren könne – trotzdem nehme die Anzahl dieser Fälle nicht ab.
Beispiel Migräne: Von schätzungsweise 10 Millionen Menschen, die unter Migräne litten, kenne nur jeder Zweite die Ursache seiner Qualen. Viele probierten alle möglichen Schmerzmittel aus, wechselten von Arzt zu Arzt – in der Hoffnung dies könnte ihre Schmerzen beenden.
Ihre Praxis ist nicht mehr zu retten
Marie-Luise Adam: „Dass es Therapien gibt, die das können, wissen viele Betroffene nicht.“ Die so genannten Triptane seien wissenschaftlich nachgewiesen eine effektive Möglichkeit, den Schmerz-Kreislauf zu unterbrechen. Doch viele Ärzte scheuten die Verschreibung der teuren Artzney, um das Budget zu schonen. Marie-Luise Adam: „Bei mir bekommen alle Migräne-Patienten, denen es hilft und die es wollen, ein Triptan verschrieben. Fast alle haben eine lange Schmerzkarriere hinter sich – und eigentlich alle fühlen sich vom Triptan wie erlöst, wie neugeboren.“
Marie-Luise Adam hat nach dem Studium (Promotion mit Magna cum Laude) lange wissenschaftliche Projekte für das Bundes-Forschungsministerium betreut und glaubt ziemlich genau zu wissen, was ihren Patienten hilft und was nicht. „Und ich bin sicher, es gibt mehr Patienten, die einen Arzt wie mich suchen. Meine Patienten sagen das immer wieder. Es würde mir gut tun, wenn mehr von ihnen erfahren könnten, dass es mich gibt.“
Vermutlich wird auch das ihre Praxis nicht retten. Für sie das Schlimmste: „Meinen treuen Patienten kann ich dann nicht mehr helfen.“
Winfried Vennemann
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