Abwrack-Prämie für Moral

NÜRNBERG - Keiner erschrickt, alle applaudieren: Juli Zehs „Spieltrieb“ auf der Bühne der Tafelhalle.
Die Gegenwart, so zitiert die überaus frühreife, gedanklich gelegentlich bis in die Wechseljahre vorschnellende Vierzehnjährige, „ist nichts als die zukünftige Vergangenheit“. Das könnte das verkniffene Mädchen von der Mama abgehört haben, die gern über ihren „zukünftigen Ex-Mann“ klagt. Erst das Auftauchen eines anderen Außenseiters („Hobby: Nachdenken, Atheismus, leichte Drogen“) bringt Ada von ihrer aufs lapidare „Nö!“ fixierten Blockadehaltung ab. In der Dramatisierung von Juli Zehs bis zum Abwinken beschreibungsfreudigem Roman „Spieltrieb“, aus der Regisseur Christoph Mehler in der Tafelhalle einen schlanken, sehr sprunghaften Comic gemacht hat, findet jede Wendung den kürzesten Weg zum Ziel. Das Spiel mit dem Trieb, der Trieb zum Spiel, finden unabhängig von Glaubwürdigkeitsproblemen der beteiligten Figuren in moralfreier Zone statt. Es ist wie es ist. Ob wir es mit grell beleuchteten Einzelgängern oder dunkler Ahnung von nihilistischer Zukunft zu tun haben, will oder kann die Aufführung nicht beantworten.
Ada rennt. Gern im Kreis auf der Bühne herum, damit die überschüssigen Energien gebunden sind. Der Pauker rennt hinterher. Erst aus pädagogischen Erwägungen, dann – wenn er in die Sex-Falle gelaufen ist und dabei auch noch das Gefühl entdeckt hat – rein in die Abhängigkeit. Da verliert der 18jährige Alev, nach unergründlichem Ratschluss der Autorin so impotent wie impertinent, grade das Kommando über die erpresserischen Aktionen mit Dildo und Lehrkörper.
Tragische Witzfiguren mit Millimeter-Fallhöhe
Christoph Mehler, der seine Inszenierung als Sittengemälde ankündigte, liefert nur eine schwarzweiß gehaltene Sprechblasen-Story, in der auch das Wort „Abwrack-Prämie“ unerwartet Platz findet. In locker gleitenden Szenen ist man schnell bei der Karikatur: Mutter (Adeline Schebesch) hilft beim Augenbrauen-Zupfen, der Kinderfreund (Thomas L. Dietz) gründet eine Band namens „10 Ohren hören mehr als 2“, der Lehrer und sein Frauchen (Thomas Klenk, Tanja Kübler) hüpfen nasenstübernd an verlogenen Zärtlichkeits-Ritualen entlang. Tragische Witzfiguren mit Millimeter-Fallhöhe.
Julia Bartolome spielt das unzufriedene Mädchen nicht grade wie 14, aber in aller fleckenreichen Unschuld imponierend alterslos. Dass Alev, der „Halbägypter und Viertelfranzose“, sich für einen Partisanen hält, der mit ihrer Ein-Personen-Hilfe zur Armee wird, hätte sie oder den Lektor des Romans stutzig machen sollen. Philipp Niedersen zelebriert das aasige Lächeln des Bösen und greift über den Soundtrack ein. Sein Kichern in Mikro-Verzerrung lässt auch den Schlümpfen ihren Teil am Drama, das sich hier als Behauptung spreizt.
Die Bühne ist eine leere Box, jeder Schauspieler hat seinen Stuhl und zeigt, dass er was kann. Gut so, aber nicht genug. Der Skandal-Plot löst sich in Stilisierung auf. „Das hier ist Normalität“, schreit das Mädchen. Keiner erschrickt, alle applaudieren. Dieter Stoll
Nächste Vorstellungen: 18.2., 3., 4., 10., 13., 20., 28.3. – Karten Tel. 0180-5-231600