Abschied vom Sprungbrett

Sabina Dhein, die erste Frau an der Spitze eines fränkischen Stadttheaters, im AZ-Interview über Großraum-Kultur und ihren Erlangen-Abschied.
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Besitzergreifung des Markgrafentheaters, das sie seit ihrer Kindheit kannte: Sabina Dhein, als sie Hausherrin mit Intendantenvertrag geworden war.
Berny Meyer Besitzergreifung des Markgrafentheaters, das sie seit ihrer Kindheit kannte: Sabina Dhein, als sie Hausherrin mit Intendantenvertrag geworden war.

NÜRNBERG - Sabina Dhein, die erste Frau an der Spitze eines fränkischen Stadttheaters, im AZ-Interview über Großraum-Kultur und ihren Erlangen-Abschied.

Sie war, sofern man Markgräfin Wilhelmine nicht mitrechnet, die erste Frau an der Spitze eines fränkischen Theaters und bekommt dort mit Katja Ott ab August eine Nachfolgerin: Sabina Dhein, die vor sieben Jahren über Düsseldorf und Ingolstadt (Dramaturgin/Chefdramaturgin) nach Erlangen kam und nun als Kaufmännische Geschäftsführerin ans höchst renommierte Hamburger Thalia-Theater wechselt, hat am Markgrafentheater und in der „Garage“ mit kleinem Ensemble und großen Ambitionen gearbeitet. Initiativen (wie die Kammeropern aus Nürnberg), Skandale (wie Rehbergs „Wölfe“) und Überraschungen (wie Christian von Treskows „Hamlet“) inbegriffen. Am 5. Juli ist Abschieds-Party.

AZ: Waren sieben Jahre Erlangen genug oder hat Sie ein Angebot, zu dem man nicht nein sagen kann, mitten aus der Entwicklungsphase gerissen?

SABINA DHEIN: Schwer zu beantworten, das war eine komplexe Situation. Als Christian von Treskow, unser Mittelpunkt-Regisseur, die Intendanz in Wuppertal bekam, brachte das eine Zäsur. Es war klar, dass er viele Leute mitnimmt – also hätte ich hier das Theater für mich nochmal ganz neu erfinden müssen.

Und das wollten Sie nicht?

Doch, durchaus – es gibt genügend Entwicklungspotenzial. Eine Kooperation mit Wuppertal wäre möglich gewesen.

Ist nun aber nicht...

Es entstehen immer wieder neue Möglichkeiten, das fällt mir mit dem Blick von außen wieder mehr auf. Aber die Aufgabe in Hamburg ist fast sowas wie ein neuer Beruf für mich, also ein anderer Reiz.

Lebensrettende Entlastung

Sie waren ins jüngste und kleinste Stadttheater Bayerns gekommen. Was sehen Sie als wichtigste Entwicklung in den sieben Jahren?

Formal, dass das Erlanger Theater endlich nicht mehr nur eine Abteilung des Kulturamtes ist, sondern in der Hierarchie der Stadt als Amt Nummer 44 mit anderem Selbstbewusstsein dasteht. Und die Installierung einer kaufmännischen Direktion, die eine lebensrettende Entlastung für die Intendanz ist.

Lebensrettend?

Theater ist ein extrem unberechenbares Geschäft: Was kommt beim Publikum an, wer bricht sich bei den Proben ein Bein? Vorher führte das alles in Personalunion zum ständigen Überlebenskampf. Jetzt haben wir Controlling und das Computersystem hat eine neue Epoche in der Planung, der Disposition, eingeleitet.

Klingt alles nicht nach „Kunst“.

Stimmt, aber es hat alles mit der Ermöglichung von Kunst zu tun.

Erlanger Festivals strahlen immer weit über die Stadtgrenzen hinaus. Warum muss das Theater so oft hinterm Gartenzaun bleiben?

Muss es gar nicht! Wir haben unsere Kooperationsbeine nach allen Richtungen hin ausgestreckt, wobei ich einräume, dass da noch einiges mehr möglich gewesen wäre zwischen Gostner, Staatstheater, Riedelbauchs Dehnberger und der ganzen fränkischen Szene wie dem Theater Kuckucksheim.

Kleiner Bruder, fremdelnde Schwester?

Wie ist das Erlanger Theater heute im nachbarschaftlichen Vergleich zum Staatstheater Nürnberg und zum Stadttheater Fürth positioniert – ist das der kleine Bruder, die fremdelnde Stiefschwester oder was?

Wie wär's mit dem Wadlbeißer? Wir können niemandem an die Gurgel, aber zwicken können wir schon. Ich konnte nicht mit dem großen Ensemble in Nürnberg konkurrieren und Fürth hat mit seiner Bühnen-Dimension das Geld, auch das Deutsche Theater Berlin einzuladen. Wir mussten eigene andere Profile schaffen.

Also keine Chance für das gemeinsame Theater-Profil im Städte-Großraum?

Eine Umfrage in Erlangen hat ergeben, dass die Leute die Theater der drei Städte nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zueinander sehen. Das ist doch gut.

Wäre es nicht noch besser, mehr zu wollen als den glücklichen Zufall von gegenseitigen Ergänzungen?

Der Tod von allem wäre ein Generalintendant der Vereinigten Metropolregion. In Bamberg sind die Bratwürste auch anders als in Coburg oder Nürnberg. Die Vielfalt bleibt wichtig, aber man sollte sich öfter an einen Tisch setzen, damit anschließend jeder das tun kann, was er von seinen Talenten her schafft.

Sie hatten mit Wulf Konold die Produktion von Kammeropern im Markgrafentheater vereinbart. Das war nicht immer glänzend, aber es war ein gemeinsames Konzept. Warum ist es gekappt?

Als Peter Theiler in Nürnberg antrat, wollte er sicher erst sein eigenes Programm machen und ich war grade mit einem Bein schon weg. Wir kamen nicht mehr ins Gespräch. Aber wie sich inzwischen beim „Wilhelmine-Code“ zeigte, können wir Oper auch selber.

Verschanzte Bildungsbürger

Was ist in Erlangen am Publikum anders als in Nürnberg?

Manchmal hatte ich schon das Gefühl, dass sich hier die letzten Bildungsbürger der Nation verschanzen. Unglaublich, auf welche Nuancen einer Aufführung die Leute in Erlangen reagieren. Das ist im Inhaltlichen wie im Ästhetischen belastbarer als anderswo. Vor ein paar Jahren wäre uns eine Aufführung wie der „Woyzeck“ noch um die Ohren gehauen worden. Jetzt hat die ganze Stadt voller gegenläufiger Emotion darüber diskutiert, aber ohne das Theater damit in Frage zu stellen.

Das war bei Ihrem Dienstantritt noch anders?

Wir mussten zu Beginn straßenguerillamäßig arbeiten. Wenn wir in die Fußgängerzone gegangen sind, ist uns Wut und Hass entgegengeschlagen mit Vorwürfen, deren Ursache oft viele Jahre zurück lagen. Es hat sich erst allmählich entspannt.

Auffällig an Ihrem Programm war das Originelle und Mutige in der kleinen Form und die Überforderung als Prinzip für den großen Rahmen. Ist denn Groß-Klassik ohne Rücksicht auf Verluste nötig?

Wir sind halt kein Off-Theater! Irgendwann sind die Themen der Klassiker dran und irgendwann wollen die Regisseure und Schauspieler bestimmte Stücke machen.

Und das bringt dann volles Risiko mit Absturzgefahr?

Immer wieder, das muss so sein, man muss sich an die Grenzen wagen.

In Ihrer Bilanz steht die Aufführung von Hans Rehbergs „Die Wölfe“, die mit ihrem Gemisch aus Ehre, Krieg und Vaterland überregionale Proteste auslöste, als Aufreger Nr. 1. Hat sich die Kraftanstrengung gegen alle Vorwürfe gelohnt?

Nichts ist langweiliger als der Skandal von gestern. Das war keine Provokation von uns. Der Tumult hat uns ereilt, und wir haben tapfer getrotzt. Die nationale Ecke, in die wir dabei gerückt wurden, war niemals unsere.

Vergleichbares Spektakel gab es nie wieder. Waren Sie etwa eingeschüchtert?

Absolut nicht, wir haben immer wieder umstrittene Themen aufgegriffen und für Stücke zu kontroversen Auseinandersetzungen recherchiert. Marc Pommerening und Sven Kleine haben auch nach den „Wölfen“ hier eine große Rolle gespielt - da gab es kein Zaudern.

Die folgende Ruhe war also kein Verstummen?

Quatsch, was gibt es denn für Tabu-Themen, die wir ausgelassen hätten? Ich kenne keine.

Das Erlanger Theatermodell ist zukunftsweisend!

Sie gehen als Kaufmännische Geschäftsführerin in die zwei Stufen höhere Liga nach Hamburg. Mit dem Blick von oben: Ist das Erlanger Provinz-Theater in Krisenzeiten langfristig überlebensfähig?

Grade weil es nicht leuchtturmartig dasteht, sondern im Verbund mit anderen Theatern wirken kann, ist das Erlanger Theatermodell absolut zukunftsweisend.

Und ganz konkret – Ihre größte Leistung in den sieben Erlanger Jahren?

Wir hatten ein Sprungbrett-Theater, hier haben viele etwas angefangen, haben ihre Fäden nach allen Seiten gesponnen – und ich werde ihnen hoffentlich wiederbegegnen. Interview: Dieter Stoll

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