Abfall-Berge machten Nürnberger zum Millionär
Kurt Klutentreter (†89) erkannte den Wert des Papiers, das bei den Nürnberger Prozessen anfiel.
NÜRNBERG Heuer wäre Kurt Klutentreter 100 Jahre alt geworden. Der im Alter immer eigenwilliger und schrulliger gewordene Unternehmer, der 2000 starb, war einer der ganz großen Mäzene der Stadt. Er stiftete Millionen. Den Grundstein für sein beachtliches Vermögen legte er gleich nach dem Krieg. Er machte mit den Papierabfällen, die bei den Nürnberger Prozessen in gewaltigen Mengen anfielen, richtig Geld.
Pfiffig war Kurt Klutentreter schon immer. Weil er auch noch in der Lage war, Sprachen schnell zu lernen, reiste er für seinen Arbeitgeber, eine Bleistiftfirma, schon in jungen Jahren durch die ganze Welt. Als Repräsentant des Unternehmens begriff er auch schnell die Kunst der im Geschäftsleben notwendigen Diplomatie. Das sollte ihm zugute kommen, als er in den unmittelbaren Nachkriegsjahren auf der Suche nach Beschäftigung durch das zerstörte Nürnberg zog. Weil er damals in Muggenhof wohnte, kam er häufig auch am Justizgebäude in der Fürther Straße vorbei. Das änderte sein ganzes Leben.
Mit höchstem Interesse beobachtete er, wie amerikanische Soldaten ganze Papierberge, derer sie kaum Herr wurden, in alten Ölfässern verbrannten. Es waren die Abfallprodukte der Nürnberger Prozesse. Zum einen Teil handelte es sich um Prozessakten. Es gab damals keinen Computer, keinen Drucker. Alle Dokumente wurden von Sekretärinnen mit der Schreibmaschine getippt. Waren Fehler enthalten, musste die Seite samt Durchschlägen neu getippt werden. Um den Umfang zu verdeutlichen:
Allein das Sitzungsprotokoll des Auftaktprozesses umfasste 16.000 Seiten, musste in vier Sprachen übersetzt und in Dutzenden von Ausfertigungen geschrieben werden. Abfall produzierende Fehler en masse waren da gar nicht zu vermeiden. Vergrößert wurde der Papierberg durch die Unmengen von Verpackungsmaterial, die zum Beispiel bei der Versorgung der Tausenden Mitarbeitern anfielen.
Kurt Klutentreter erkannte sofort, dass dieses Papier Gold wert war.Im Nachkriegs-deutschland mit seiner völlig zerstörten Infrastruktur gab es nämlich so gut wie keines. Mit seinen exzellenten Englischkenntnissen, seinen auf internationalem Parkett ge-schliffenen Umgangsformen und seinem geschäftlich erlangten Verhandlungsge-schick überzeugte er die Amerikaner, die Entsorgung der Papierberge ihm zu überlassen. Er verarbeitete sie zu Pappkartons, die ihm regelrecht aus den Händen gerissen wurden. Es war der Grundstock für seine Firma "Papyrus Wellpappe", die er 1948 gründete - und mit der er viele Millionen verdiente.
An seinem Reichtum ließ er auch seine Heimatstadt Nürnberg großzügig partizipieren. Mit einer Millionenspende engagierte er sich beim "Krakauer Haus" und bei der Restaurierung zweier Wehrtürme im Maxtorgraben. Außerdem beglückte er die Stadt mit Kunstwerken, die nicht immer auf Gegenliebe stießen und im Einzelfall sogar in Klutentreters Garten landeten, anstatt entlang der innerstädtischen Flaniermeile. Immerhin: Das „Narrenschiff", eine von ihm geschenkte Skulptur, steht in Hauptmarkt-Nähe.
Im Spätherbst eines Lebens wurde „Kluti" sogar noch berühmt. Seine Eskapaden hinter dem Steuer seines Mercedes 280 E flimmerten über alle Kanäle. Mehrfach wurde er beim Fahren ohne Führerschein erwischt, einmal sogar unmittelbar nach einem Gerichtsermin, bei dem ihm die Fahrerlaubnis erneut entzogen worden war. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass er bei dieser Gelegenheit auf dem Gerichtsparkplatz auch noch den Wagen einer Staatsanwältin kratzte. Gut konnte das nicht gehen. Kurt Klutentreter wurde wegen seiner brillanten Vermögenslage zu einer sechsstellige Geldstrafe verurteilt. Bezahlt hat er sie erst nach einer Mahnung.
Helmut Reister
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