Abend des lachenden Zorns

NÜRNBERG Seit man die Lücke, die Georg Schramm mit seinem Rückzug aus der ZDF-„Anstalt“ hinterlassen hat, in jeder Sendung scheunentorgroß betrachten kann, ist der Kabarettist ein Satire-Sonderfall. Er wird, obwohl oder weil er in großen Teilen seiner Wortgefechte lieber in Echtzeit als über Kunst-Umwege wütet, als moralische Autorität wahrgenommen, geradezu als oberster Widerstandskämpfer mit Pointen-Bewaffnung. Noch nie, so berichten die Andrang gewohnten Veranstalter vom Burgtheater, war ein Nürnberger Kabarett-Gastspiel so schnell ausverkauft wie der zweitägige Abstecher in die Tafelhalle. Bis aus Berlin kamen die Fans – und wurden mit einem Abend des lachenden Zorns bedient.
Erst wenige Tage vorher gab es an gleicher Stelle Irritationen, denn da tanzte die „Demenz“. Georg Schramm schließt ungeplant an das Stück von Helena Waldmann an. In seinem aktuellen Programm „Meister Yodas Ende – Über die Zweckentfremdung der Demenz“ ist er der Einpeitscher einer Senioren-Selbsthilfegruppe, die dem Tod die dritten Zähne zeigt. Von der Empfehlung zum Auftragsmord an Wirtschaftsbossen („Nicht quälen, nur fort!“) über das Besondere am „Eigenblutfluss“ in deutschen Kriegseinsätzen bis zum Suizid-Aufstand gegen den Pflegefall inklusive Gebrauchsanweisung bleibt kein Tabu ausgeklammert. Der große Bescheid-Sager schlägt eine Schneise in die öffentliche Meinung, dass es nur so kracht.
Zum Rollenwechsel hängen die bekannten Jacken an der Garderobe. Schramm ist weiterhin abwechselnd der wandelnde Wutausbruch mit der schwarzen Plastik-Hand, der zynische Bundeswehr-Oberst zum Nachschnappen und der babbelnde Gemütsmensch mit dem verwehenden SPD-Stallgeruch. Alle drei Herren und ihr Schöpfer haben eines gemein: Sie lassen sich von der Politik („Furunkel am Gesäß des Bösen“) in Rage bringen, aber nicht für dumm verkaufen.
Der führende Repräsentant des politisierenden Kabaretts
Tatsächlich ist Georg Schramm, wenn man den Berliner Wortspiel-Radikalen Martin Buchholz mal ausklammert, auch in der Drei-Stunden-Fassung seiner Lamento-Satire der führende Repräsentant des politisierenden Kabaretts. Für den Nürnberger Auftritt hatte er mit Seitenblick auf Ursula von der Leyen bei Anne Will nachgeladen und die ganze Regierungs-Elite abserviert: „Leere Worthülsen, im Brachwasser der Beliebigkeit untergegangen“.
Anders als in der TV-„Anstalt“, wo er als Gegenpol zur sprudelnden Häme von Urban Priol zum Rache-Engel der Vernunft aufstieg, wird der Solo-Schramm allerdings von der eigenen Beschimpfungs-Ästhetik mitgerissen. Dann kürzen die Attacken den Umweg übers Rollenspiel einfach ab, und es wird – ganz gleich, welche Jacke grade dran ist – Frontalunterricht in fröhlicher Verdrossenheit erteilt. Das ist dann beifallumrauschtes Gradeaus-Kabarett, an dem ein comedygesättigtes Publikum vor allem die jeden Witz überstehende Haltung bestaunt. Für’s Phänomen Schramm, das in Nürnberg schon Jahrzehnte vor der ZDF-Popularität im kleinen Burgtheater zu erleben war, kann das nicht die letzte Entwicklungs-Stufe gewesen sein.