50000 rufen „Mambo“

Klassik Open Air Teil 2: Alexander Shelley, bald Chef der Nürnberger Symphoniker, bringt das Publikum im Luitpoldhain zum Tanzen.
von  Abendzeitung
Was für eine Aussicht am Arbeitsplatz: Die Chemie zwischen Publikum, Symphonikern und Dirigenten stimmte.
Was für eine Aussicht am Arbeitsplatz: Die Chemie zwischen Publikum, Symphonikern und Dirigenten stimmte. © bayernpress

NÜRNBERG - Klassik Open Air Teil 2: Alexander Shelley, bald Chef der Nürnberger Symphoniker, bringt das Publikum im Luitpoldhain zum Tanzen.

Nürnbergs Luitpoldhain liegt im Dunkeln, nur die Bühne strahlt hell. Gerade sind die letzten Sternenspeier erloschen, da geht Dirigent Alexander Shelley (29) zur ersten Zugabe über: Zequinha de Abreus „Tico Tico no Fubá“ zum Mitklatschen, das Shelley souverän leitet. Paare finden sich auf den Rettungswegen, Kinder hopsen im Kreis: Nürnberg tanzt!

Da hat Shelley, ab Herbst jugendlicher Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker, das Publikum längst mit Charme und Rhythmus um den Finger gewickelt. Zackig stürzt er sich nach der Pause in Leonard Bernsteins immergrüne „Candide“–Ouvertüre. Bei Gershwins „Porgy and Bess“-Potpourri mischt er mit seinem Orchester sinfonische Zuspitzungen und lässigen Bigband-Drive, schält Soloinstrumente wie die äußerst klangschön spielenden Holzbläser heraus und flicht die ohrwurmsatten Themen zum nie schwächelnden Hit–Reigen.

Auch bei Bernsteins „Westside Story“ hat Shelley den Bogen raus: Marisol Montalvo schwebt leichtfüßig und mit Jubel-Sopran zu „I feel pretty“ über die Bühne. Dann fordert Shelley das Publikum: Vier Mal übt er mit den 50000 den „Mambo“-Schlachtruf; mitwippend und -zuckend harrt das Publikum auf seinen Einsatz. Anschließend erteilt der Oberlehrer eine 2-: Klassische Musik ist schön, macht aber viel Arbeit.

Shelley kann sich das erlauben und hat da längst BR-Moderatorin Sabine Sauer mit ihren Allgemeinplätzen die Show gestohlen: Er bittet das im Dunkeln sitzende Publikum um ein Lächeln — seine Kamera habe Blitz. Als sein Versuch scheitert, einen Sternenspeier anzuzünden, meint er: „Ich glaube, das Orchester will mich verarschen.“ Und er beweist Ausdauer: Erst nach sieben Zugaben (mit Sousas „Stars and Stripes Forever“, dem „The Beauty and the Beast“-Thema und Offenbachs „Cancan“ bleibt er auf der französisch-amerikanischen Achse) ist kurz nach 23 Uhr Schluss.

Längst vergessen ist da, dass „Liebe verbindet“ ein thematisch weites Feld ist, auf dem so manches wächst, und dass die Rundfahrt durch die französische Romantik vor der Pause ihre Schwächen hatte. Mit großen, präzisen Gesten peitschte Shelley die Symphoniker durch Bizets „Toréadors“ und Offenbachs „Pariser Leben“-Ouvertüre. Beim Wunschstück, Offenbachs „Barcarole“, wird aus Sanftmut nie Kitsch. Die Auszüge aus Berlioz’ dramatischer Sinfonie „Roméo et Juliette“ allerdings besitzen mehr Zwischentöne, als das Orchester und das Akustik-System hörbar machen. Auch der Balkon-Szene aus Gounods Shakespeare-Oper fehlt es zunächst an Durchlässigkeit, zumal Tenor Dante Alcalás italienischer Schmelz stottert (er macht es später mit „Granada“ wett). Bei Montalvos brillantem Koloratur-Exzess „Ah! Je veux vivre“ sitzt man dagegen auf der vordersten Picknickdeckenkante.

Die Chemie stimmt also zwischen Shelley, den Symphonikern und dem Publikum. Ob es deshalb in die Meistersingerhalle strömen wird, wie der Dirigent forderte („Das ist die Abmachung, sonst spielen wir nicht weiter!“)? Unwahrscheinlich. Aber weil Shelley ein begnadete Entertainer ist, sollte er das nächste Klassik Open Air allein moderieren. Und dazu ein stringenteres Programm zusammenstellen. Wenn der begeisterungsfähige, kluge Shelley komplexe Musik nicht verkaufen kann — wer dann? Sicher ist nach seinem Open-Air-Einstand: Die neue Symphoniker-Spielzeit wird spannend.Georg Kasch

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