37 Jahre nach Tschernobyl: Wildschweine in Bayern können hohe Dosis Strahlung aufweisen

Wildschweine in Bayern können auch 37 Jahre nach dem GAU im Atomkraftwerk Tschernobyl eine hohe Dosis Strahlung aufweisen. Das damit verbundene Gesundheitsrisiko wird aber unterschätzt.
Maximilian Neumair |
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Ein Wildschwein sucht nach Futter. Darunter fallen auch Pilze, die aufgrund der Tschernobyl-Katastrophe noch immer hohe Strahlenwerte aufweisen.
Ein Wildschwein sucht nach Futter. Darunter fallen auch Pilze, die aufgrund der Tschernobyl-Katastrophe noch immer hohe Strahlenwerte aufweisen. © Oliver Berg/dpa

München - Schon 37 Jahre ist es her, seit sich die verheerende Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignet hat. Das dabei in die Luft gestoßene radioaktive Material regnete sich über Süddeutschland ab und sickerte in den Boden ein.

Strahlenschutzbeauftragter warnt: Wildschweine in Bayern nicht ungemessen essen

Die Folgen sind heute noch zu spüren: Pilze und Wildschweine können nach wie vor große Mengen an radioaktivem Cäsium-137 (Cs-137) aufweisen. Der ehemalige Strahlenschutzbeauftragte Helmut Rummel warnt deshalb vor allem Jäger davor, Wildschweine ungemessen für den Eigenverzehr zu nutzen.

Es gibt in Bayern keine Messpflicht für erlegtes Wild

Die Tiere weisen vereinzelt eine so hohe Strahlendosis auf, dass ein erhebliches Gesundheitsrisiko besteht. Zwar müssen alle für den Handel bestimmten Tiere auf Cs-137 gemessen werden und dürfen ab einem Wert von 600 Becquerel pro Kilo nicht verkauft werden. Allerdings besteht keine Verpflichtung, jedes erlegte Wildfleisch auch überprüfen zu lassen. Jene Tiere, die die Jäger nicht verkaufen wollen, können sie ungetestet selbst essen.

Dabei handelt es sich um keine Einzelfälle: Wie Rummel der AZ sagt, wurde in etwa die Hälfte aller getöteten Wildschweine in den Regierungsbezirken Oberbayern, Schwaben und Niederbayern die letzten vier Jahre nicht getestet. Das sind 9.000 bis 10.000 Tiere pro Jahr.

Radioaktivität in Bayern: Vergleich von Messwerten bringt neue Erkenntnisse

Vier Jahre lang arbeitete Rummel als Strahlenschutzbeauftragter für Radioaktivität bei einer Radiocäsium-Messstelle für den Landkreis Garmisch-Partenkirchen. In dieser Zeit entdeckte er in seinem Zuständigkeitsbereich auffallend hohe Werte. Das bewegte ihn dazu, Messwerte in anderen stark belasteten Gebieten in Erfahrung zu bringen. Seitdem setzt er sich dafür ein, die damit verbundenen Gefahren publik zu machen.

"Selbst wenn in einigen Revieren über längere Zeit relativ niedrige Messwerte registriert werden, so kann urplötzlich ein extrem hoher Wert vom fünf- bis sechsfachen der vorherigen Messwerte auftreten", sagt er. Heißt konkret: Eigentlich müsste wirklich jedes erlegte Wildschwein getestet werden. Andernfalls könne sich ein Jäger nie sicher sein, nicht doch ein Tier mit einer hohen Cs-137-Menge zu erwischen.

Studie: Jäger essen durchschnittlich 13 Kilo Wildschweinfleisch pro Jahr 

Nach einer Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) verzehrt ein Jäger in etwa 13 Kilogramm Wildschweinfleisch pro Jahr. "Jäger bekommen bei dieser Menge jährlich eine Strahlendosis von 32 bis 64 Röntgenaufnahmen der Lunge ab", sagt Rummel.

"Wie viel Schaden ein hoher Becquerel-Wert anrichtet, ist unterschiedlich", so der Experte. Deshalb vergleiche er das Risiko gerne mit dem einer Röntgenstrahlung. Diese birgt je nach Dosis eine geringe, aber nicht auszuschließende Gefahr einer Schädigung.

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Unveröffentlichte Strahlenwerte: Messstationen halten Zahlen bedeckt

Dass so viel Wild nicht getestet wird, schreibt Rummel den irreführenden und zum Teil unveröffentlichten Strahlenwerten zu. Denn wer eigentlich welche Messwerte erfasst, das ist auf den ersten Blick gar nicht so leicht nachzuvollziehen. Der Bayerische Jagdverband unterhält zum Beispiel 124 Messstationen in Bayern. Deren Werte sind auf ihrer Website jedoch nicht öffentlich gelistet. Eine Anfrage der AZ zu den Werten blieb unbeantwortet. Der Jagdverband verweist im Netz lediglich auf das Landesamt für Umweltschutz (LfU).

Das LfU aber erhebt seine Werte völlig unabhängig von den Messstationen, wie es der AZ mitteilt. Die Länder entnehmen eigene Proben. Auch würden die Messstationen-Werte des Jagdverbands nicht ans Landesamt übermittelt, heißt es.

Höchster Wert nur knapp unter Verbotsgrenze

Der höchste veröffentlichte Wert des LfU in den Regierungsbezirken Oberbayern, Niederbayern und Schwaben beträgt 540 Becquerel pro Kilogramm in den letzten drei Jahren. Zwar liegt das unter der 600er-Marke, ab der ein Verkauf nicht mehr gestattet wird. Dem gegenüber stehen aber Rummels eigene Nachforschungen in den Regionen: Ihm zufolge wurden in der gleichen Zeit 120 Messwerte von 6.000 bis über 17.000 Becquerel pro Kilogramm gefunden.

Wie groß ist die Gefahr der Radioaktivität bei Wildschweinen wirklich?

Aus seiner Sicht verleiten die niedrigen Werte des LfU die Jäger dazu, von keiner Gefahr auszugehen. Der Aufwand, der mit so einer Messung einhergeht, und die je nach Station anfallenden Kosten täten dann ihr Übriges.

Ein weiterer Messstationen-Betreiber sind die Bayerischen Staatsforsten: Diese geben zwar an, dass in der Jagdsaison 2021/22 in etwa die Hälfte der Wildschweine gemessen wurde und davon circa ein Sechstel Werte über 600 Becquerel pro Kilogramm aufwiesen. Allerdings wird die genaue Höhe der Werte nicht benannt. Die seien aber nötig, um die Gefahren angemessen einschätzen zu können, sagt Rummel.

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  • Annamirl am 21.05.2023 22:23 Uhr / Bewertung:

    Ich dachte, es geht hier um Wildschweine und nicht um AKWe!

    Da fällt mir gleich noch was ein, wer untersucht die Wildtiere, ob sie mit PFAS verseucht sind? Vielleicht sind diese Gifte noch viel schlimmer als die radioaktive Strahlung, was nicht heißen soll, dass die Wildschweine nicht lückenlos auf ihre radioaktive Verstrahlung untersucht werden sollen, bevor sie in den Nahrungsmittelkreislauf gelangen, und dass Werte nicht veröffentlicht werden, damit man die Verbraucher nicht verunsichert, geht gar nicht. Ich möchte wissen, was ich da auf meinem Teller habe.

  • Dimpfe am 20.05.2023 16:21 Uhr / Bewertung:

    Man sollte vielleicht eher fragen, wie "verstahlt" die Grünen - voran Hr. Habeck - sind, die urkrainische AKW selbst in einem Kriegsgebiet für "sicher" halten und deutsche AKW wegen "Hochrisikotechnologie" (und lt. Merkel auch Gefahr von Tsunamis usw.) abgeschaltet haben.

    Wenn im Kriegsverlauf das grösste AKW Europas (Saporischschja) in der Ukraine angegriffen, zerstört oder beschädigt wird, droht uns im gesamten Europa weit mehr als "nur Tschernobyl". Aber lt. unserem Kinderbuchautor, Philosophen und nebenberuflichem Wirtschafts- und Klimaminister sind die alten russ. AKW im Kriegsgebiet der Ukraine ja "sicher", die von wohl unter hunderten Normen, Prüfungen usw. in Deutschland gebauten AKW halt nicht, darum mussten sie weg.

  • Sarah-Muc am 21.05.2023 16:09 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Dimpfe

    Die mußten weg, weil wir nicht wissen wohin mit dem Atom-Müll. Es gibt kein wirkliches Endlager.
    Wissen Sie wohin damit ? Der Platz muss aber sicher sein.
    Hier gabs mal den intellenten Vorschlag mit dem Mond oder dem Mars. Ausserdem ist Atomenergie
    viel zu teuer - wenn man die wirklichen Kosten ansetzt.

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