Nominiert für Dokumentarfilm-Oscar: "Der Maulwurf - Ein Detektiv im Altersheim"

Sergio Chamy, ein zurückhaltender, 83 Jahre alter Witwer, hat sich sein Leben lang nicht mit Verbrechen auseinandersetzen müssen, aber meldet sich dann doch auf eine Anzeige, die ihm noch mal ein spätes, kriminalistisches Abenteuer verspricht.
Spion mit über 80 Jahren: Ein Maulwurf im Seniorenheim
Ex-Polizist und nun Privatdetektiv Rómulo will einen älteren Herrn anheuern, der bereit ist, sich für drei Monate in die Seniorenresidenz "San Francisco" am Rande von Santiago de Chile einzuschleusen, um den Verdacht zu ergründen, dass das Pflegeteam die Mutter von Rómulos Klientin misshandelt. Allein das Casting der potentiellen Maulwürfe ist dabei schon ziemlich witzig, denn natürlich sollte der Senioren-Spion gewieft und technik-affin sein, um Informationen nach außen schmuggeln zu können - was aber die meisten Ü-80-Kandidaten nicht sind. Auch Sergio erweist sich beim Probe-Video-Call mit "Facetime" als ziemlich ungeschickt. Aber er bekommt dennoch, unauffällig wie er ist, den Job.
Dokumentation mit Film Noir Flair
Nach dem Skandal um den Dokumentarfilm "Lovemobil" von Elke Margarete Lehrenkrauss, die nach den Vorwürfen, dass viele Szenen schlichtweg inszeniert worden sind, sogar den ihr verliehenen Deutschen Dokumentarfilmpreis 2020 zurückgegeben hat, ist die Frage nach der Authentizität dokumentarischer Aufnahmen wieder virulent geworden. Der vom SWR produzierte "Maulwurf" schlägt von Anfang an einen klaren Krimi-Ton an: Die Szenen sind mit einem jazzigen Score unterlegt, die Kamera nimmt das Gespräch im Büro von Rómulo auch mal durch die Lamellen einer Jalousie auf, es gibt Licht-und-Schatten-Effekte, wodurch Assoziationen an den Film Noir geweckt werden.
Dass die Regie die Situationen, allein durch die Präsenz der Kamera, mitgeformt hat und sich einen Heidenspaß mit dem Crossover ins Agentenfilmgenre macht, wird aber eben nicht verdeckt, sondern klar ausgestellt. Und man darf doch wohl den Interviews glauben, in denen Maite Alberdi erzählt, dass sie bei Privatdetektiv Alberdi ein "Praktikum" machte, um vielleicht auf einen spannenden, dokumentarfilmfähigen Fall zu stoßen. Um dann das Pflegeteam nicht mit der Nase darauf zu stoßen, dass verdeckt gegen sie ermittelt wird, waren Alberdi und ihr Team schon Wochen vorher im Heim und behaupteten, den Einzug und das Einleben des neuen Bewohners Sergio beobachten zu wollen.
Film zeigt Spion aller James Bond - aber im Altenheim
Der Spion kann dabei selbst hautnah das Leben im Heim aufnehmen, weil er von Auftraggeber Rómulo mit einer Spezialbrille und einem Spezialfüller ausgestattet wurde, die mit Mikrokameras versehen sind. James Bond, ick hör dir trapsen. Während Sergio ein paar interessante Informationen sammelt - eine Dame ist zum Beispiel eine unermüdliche Kleptomanin -, führt ihn seine Recherche jedoch immer mehr weg vom wenig auffälligen Pflegepersonal, hin zu den Schicksalen der Heimbewohnerinnen. Die umgarnen ihn sehr bald weil es sowieso wenige Männer im Heim gibt und der adrette Sergio zudem ein sensibler Zuhörer ist. So erhält er von ihnen bereitwillig tiefe Einblicke in ihr vereinzeltes Leben.
Spionage-Komödie wird zum Film über die Einsamkeit alter Menschen
So entpuppt sich dieser Film, der zunächst als Spionage-Komödie daherkommt, sich also quasi tarnt, immer mehr als melancholische Studie über die Einsamkeit alter Menschen, die sich vergeblich nach Kontakt mit ihrer Familie sehnen. Ihre Lebensfreude habe sie für die Erziehung ihrer Kinder einst hinten angestellt, meint eine Heimbewohnerin, danach wollte sie ihr Leben genießen.
Aber: Pustekuchen. Die Kids sind undankbar, besuchen sie kaum, was sie teilweise auch versteht, weil sie sich jetzt um ihre eigenen Familien kümmern müssen. Wer sich angesichts solcher Szenen angetrieben fühlt, mal wieder seine Eltern oder Großeltern zu besuchen, hat doch von Sergio und diesem Film schon einiges gelernt.
Der Film ist in der ARD-Mediathek abrufbar.