Münchner Freiheit: Wohnen, Kultur, Arbeit, Lernen

Was für eine Halle! Über 2500 Quadratmeter erstreckt sich dieses Raumwunder, darüber wölbt sich eine Flachtonnendecke mit Oberlichtbändern. Noch ist sie Sperrzone, aber wenn es nach dem Willen von Kulturreferent Hans-Georg Küppers geht, wird die denkmalgeschützte Tonnenhalle im sogenannten Kreativquartier an der Dachauer- und Heßstraße restauriert und umgebaut. Und dann soll sie spätestens bis Juni 2019 als räumlich flexible Spielstätte für die freie Münchner Szene eröffnet sein.
Im Kultur- und Planungsreferat der Stadt arbeitet man mit Nachdruck an der Verwirklichung des Kreativquartiers: Hier soll ein neues Stadtviertel entstehen, ohne dass gewachsene Strukturen zerstört werden, wie es bisher in den Neubaugebieten oft der Fall war. Diese Strukturen schließen sowohl den Gebäudebestand, sofern man ihn retten kann oder die Renovierung Sinn macht, als auch die rund 100 Künstler aller Sparten mit ein, die hier seit 20 Jahren beheimatet sind – und deren Mietverträge bis mindestens 2016 laufen.
Hier kann man der freien Szene beim Blühen zuschauen, auch die von Michael Schild betriebene „Import/Export“-Kantine ist von der Goethestraße hierher gezogen. Derzeit sind außerdem 70 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in einem der Gebäude untergebracht. „Dort haben wir eigentlich Räume für die Kreativwirtschaft geplant“, sagt Küppers. Also für die Absolventen der nahen Hochschulen, denen der Start in die Selbstständigkeit erleichtert werden soll. Tatsächlich gibt es hier bereits ein hoffnungsvolles Miteinander. „Kunst hilft beim Ankommen in dieser Gesellschaft“, ist Küppers überzeugt.
„Wohnen, Arbeiten, Kunst, Kultur, Wissen“ lauten die Schlagworte, die das Areal auch in Zukunft charakterisieren soll. Es wird neben rund 900 Wohnungen, Schule und Kindergarten, Ateliers, Erweiterungsbauten der Hochschule, die bereits hier angesiedelten Institutionen wie Halle 6 und Pathos Transport Theater und eben die neuen Spielstätten in der Tonnenhalle umfassen. In der benachbarten ebenfalls denkmalgeschützten Jutierhalle, die einst den Kammerspielen als Ersatzspielstätte diente, sind „kreative Workspaces“ geplant.
An der Ruhr funktioniert die Verknüpfung, warum nicht auch an der Isar?
Das gesamte Gelände umfasst 20 Hektar und wurde von den Planern in vier Kompartimente geteilt: Das sogenannte „Kreativfeld“ an Schwere-Reiter- und Infanteriestraße wird 325 Wohnungen, Schule und Kindergarten beherbergen. An Dachauer- und Schwere-Reiter-Straße liegt das „Kreativlabor“, das als Standort der freien Szene konstituiert werden soll. Hier liegen die meisten der Künstlerateliers und Theater, zudem sollen in einem urbanen Mix 154 Wohnungen sowie Räume für Gewerbe und Einzelhandel entstehen.
Der „Kreativpark“ wiederum ist das Herzstück des neuen Kreativquartiers, eine Grünanlage umgibt Jutier- und Tonnenhalle und verbindet Dachauer- und Heßstraße miteinander. Und die „Kreativplattform“ im Süden des Areals wird zum Hochschulcampus; zugleich ist hier auch der Großteil der Wohnbauten (395 Wohnungen) geplant.
Küppers Vision ist die urbane Verknüpfung von Wohnen und Werkeln, von Lernen und Freizeit, in der die Vergangenheit bewahrt bleibt und die Identität des Viertels prägt. „Für das Ruhrgebiet ist das nichts Neues“, sagt er. „Dort funktioniert das ganz gut – warum also nicht auch in München?“
Das sagen die Initiatoren über ihre Projekte
Raum für den Tanz
Ingrid Kalka, Geschäftsführerin von Tanztendenz
Frau Kalka, Sie haben im Verein Tanztendenz mit den unterschiedlichsten Tänzern zu tun. Wie kommt das Areal an? INGRID KALKA: Die Tänzer und Kompanien schätzen den Freiraum, der ohne großen Kostendruck eine für München untypische Atmosphäre schafft und Künstler aus allen Sparten zusammen bringt. Ich sehe eine große Chance in der prozesshaften Entwicklung des Areals. Die Künstlerinnen und Künstler können aktiv mitwirken, neue Strukturen mitgestalten, ihre Vorstellungen einbringen. Das Schwere Reiter ist wichtig für den zeitgenössischen Tanz in München – und für die Tanztendenz eine fabelhafte Experimentierbühne, auf der man in Eigenregie seinen Projekten nachgehen und sie einem Publikum vorstellen kann. Wir hoffen sehr, dass dieser Freiraum für die Münchner Tanzszene erhalten bleibt.
Essen & Trinken
Gastronom Michael Schild
Herr Schild, wer kommt ins Import Export? MICHAEL SCHILD: Wir haben die unterschiedlichsten Gäste aus der ganzen Stadt und dem Quartier. Das sind Familien mit Kindern, die tagsüber kommen, auch abends ist das Publikum bunt gemischt – von 20 bis 70, je nach Musikprogramm. Wir sind ja nicht auf ein Genre festgelegt, das reicht vom Jazz, über HipHop, Punk, Rock, Funk, Elektro bis zur Klassik. Und dann gibt es natürlich viele, die den Mittagstisch von Nami Taguchi lieben, meistens aus den angrenzenden Vierteln. Die Künstler und Akteure aus dem Kreativquartier treffen sich bei uns zu ihren Teamgesprächen. Oder einfach zum Austausch bei Kaffee und Kuchen. Im 1. Stock probt eine Theatergruppe, die verbringen natürlich auch ihre Mittagspause bei uns. Wir sind hier schon eine Schnittstelle. Und unsere Vision ist es, einen Raum dauerhaft zu bespielen, losgelöst vom ökonomischen Druck der wachsenden Stadt.
Performance plus
Performance-Künstlerin Dorothea Seror
Frau Seror, Sie gehören zu den Künstlern, die sich schon lange im Kreativquartier engagieren. Wie läuft’s? DOROTHEA SEROR: Fantastisch funktionieren die Initiativen, die sich keiner Politik – auch nicht der internen Geländepolitik – unterwerfen. Da engagieren sich Menschen, die ihre Ideale umsetzen, und das nicht, um Geld zu verdienen, sondern um das Quartier uneigennützig weiterzubringen. Sonntags zum Beispiel arbeiten wir von der „Zona Libre“ gemeinsam mit den Flüchtlingen aus Haus 2 an der Permakultur im Huberhäuslgarten. Wir glauben an eine freie, sich selbst erhaltende Gesellschaft und leben dies exemplarisch im „kreativen Quartier“. Das geht natürlich nur, wenn man uns die Räume kostenlos zur Verfügung stellt. Es wäre schön, wenn diese Überzeugung auch künftig ihren Platz auf dem Areal hätte.
Kunst in der Halle 6
Künstler Christian Schnurer
Herr Schnurer, spartenübergreifende Kunstprojekte leben oft von zufälligen Begegnungen. Worauf sollte bei den Planungen im Quartier besonders geachtet werden? CHRISTIAN SCHNURER: Mut zur Spontanität ist entscheidend für den künstlerischen Prozess. Im Kreativquartier sollten die entsprechenden Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Allerdings nicht auf der Grundlage eines Masterplans, der auf Gedeih und Verderb durchgezogen werden muss, sondern in einem fließenden Prozess. Insofern sehe ich den aktuellen Aufstellungsbeschluss eher positiv, da er kein Korsett festzurrt. Ich sehe, dass die städtischen Referate in diesem Sinne lernfähig sind und nun vom Stadtrat beauftragt sind den Künstlern im Kreativquartier die Handlungsvollmacht und den Gestaltungsspielraum bereitzustellen, den sie brauchen.
Musik für die Zukunft
Kombonistin Verena Marisa
Verena Marisa, Sie sind Filmkomponistin und auf der Suche nach einem Arbeitsraum. VERENA MARISA: Die Preise für Studios und überhaupt Arbeitsräume in München kann man nur noch als Wucher bezeichnen. Für einen bereits isolierten Raum sind 30 Euro pro Quadratmeter ein völlig normaler Preis – auch in wenig attraktiven Vierteln. Doch selbst diese für uns Künstler viel zu teuren Studioräume sind extrem rar und dann zum Teil nicht einmal in gesundheitlicher Hinsicht einwandfrei. Durch bezahlbare Räume könnte die Stadt unserer Arbeit entscheidend unterstützen. Andernfalls bleibt Komponistinnen wie mir nur die ausschließlich kommerzielle Arbeit. Dann wird auch der experimentelle Untergrund nach und nach aussterben. Dabei ist der Voraussetzung für Innovationen. Davon profitiert ja auch der Mainstream.
Der Rahmenplan zum Kreativquartier wird am Mittwoch, 19 Uhr, in der Hochschule München, Lothstr. 34, Saal G0.01, vorgestellt – mit Diskussionsmöglichkeit