Die große Giehse in einer Graphic Novel

„Die Mitternacht zog näher schon; in stummer Ruh’ liegt Babylon“. Und das war’s auch schon. Mehr wollte Albert Steinrück 1917 gar nicht hören, um nach diesen ersten Versen aus Heinrich Heines „Belsazar“ lange zu schweigen. Das Warten muss fürchterlich gewesen sein, also fasste sich die junge Aspirantin ein Herz: „Ich weiß, ich bin zu dick“, sagte sie. „Glücklicherweise weniger dick als begabt“, kommentierte der Münchner Schauspieldirektor trocken.
Die Großen brauchen keine Vornamen
Damit war klar, dass Therese loslegen konnte. Musste. Damals hieß sie noch Gift, den Namen hat sie 1920 abgelegt, um bald schon „die Giehse“ zu werden. Vornamen braucht es bei einmaligen oder „alleinigen“ Menschen nicht, wie sie es nannte. Nur ein halbes Dutzend ihrer unzähligen Rollen hätte wahrscheinlich genügt, um zur Marke zu werden.
„Wir spielten auf jedem Misthaufen“
Aber das war nicht ihre Sache, Therese Giehse stand ständig auf einer Bühne und hat sich von den Provinztheatern in Siegen, Gleiwitz, Landshut - „wir spielten auf jedem Misthaufen“ - hinaufgearbeitet an die großen Häuser. Man staunt jedenfalls, wie Barbara Yelin dieses Schauspielerinnendasein mit all seinen Turbulenzen, Einschlägen und Bedrohungen auf gut 30 Seiten konzentriert und dabei nie plakativ wird.

Die renommierte Illustratorin, die mit dieser Geschichte von den Münchner Kammerspielen zum 50. Todestag der Giehse am 3. März dieses Jahres beauftragt wurde, karikiert sich am Anfang selbst unter einem Papierberg. Die eben erschienene Hardcover-Version kommt nun mit zusätzlichen Illustrationen, Fotografien und Essays auf immerhin 56 Seiten.
Schon in den späten 20ern war die Giehse in München ein Star
Es gibt Unmengen Material, schon in den späten 1920er Jahren war Therese Giehse in ihrer Heimatstadt München ein Star. Doch was von Anfang an auffällt, sind die viel zu alten Rollen, die sie bekommt. Mit 30 die Königin im „Hamlet“, vorher noch die betagte Schieberin in Heinrich Manns Komödie „Das gastliche Haus“. Die Bekanntschaft mit dem Rest der Familie Mann ist nur eine Frage der Zeit.

Man versteht sich sofort, das betrifft neben der Liaison mit Erika Mann und dem Interesse für alles Künstlerische vor allem die Politik. Über den „spinnerten Uhu“ Hitler mokiert sich Giehse, dann muss sie fliehen, auch als Jüdin. Doch selbst im Exil in Zürich drängt es sie und die Mitglieder der „Pfeffermühle“ auf die Bühne, um Kabarett gegen die Nazis zu machen.
Gepfeffertes Kabarett gegen die Nazis
Die Giehse ist das Zentrum dieses Ensembles, das durch halb Europa tourt und überall auf ein begeistertes Publikum trifft. „Sie machen zehnmal mehr gegen die Barbarei als wir alle Schriftsteller zusammen“, notiert Joseph Roth voller Bewunderung. Nur die Amerikaner können mit der „Pepper Mill“ nichts anfangen.

Es geht trotzdem weiter, und wie! Im schwedischen Exil schreibt Bertolt Brecht der Giehse 1941 die Mutter Courage auf den Leib. Sie mag viele Mütter gespielt haben, am Ende sogar noch die Großmutter vom Tscharlie in den „Münchner Geschichten“. Aber die Courage war die Rolle ihres Lebens. Was die private Therese dachte und was sie umtrieb, behielt die Giehse für sich. Interviews rechnete sie „mit zum Schrecklichsten, was einem passieren kann“.
Über ihre Liebe zu Erika Mann hat die Giehse nie gesprochen
Und das war keine falsche Bescheidenheit. Diese kleine große Frau gehörte zu einer Generation von Schauspielern, die einer Berufung gefolgt ist und sich hinter die Rollen gestellt hat. Das macht es für Biografen nicht eben leicht. Denn so sehr Giehses Wirken in mehr als 300 Stücken und 20 Kino- und Fernsehfilmen dokumentiert ist, so wenig erfuhr man von ihr selbst.

Über die Beziehung zu Erika Mann, die Heirat mit dem homosexuellen John Hampson - so erhielt sie einen britischen Pass - und auch die Nähe zu Marianne Hoppe hat Giehse kein einziges Wort verloren. Wer mit ihr ins Gespräch kam, hörte etwas übers Theater, „aber über mich red ich nicht“, pflegte sie weitere Fragen abzuwimmeln.
Yelin erliegt dennoch nie der Versuchung, etwas hineinzudeuten in dieses Leben. Vielmehr hält sich die Autorin - Yelin ist seit September Stipendiatin an der Villa Massimo in Rom - an das Eindrucksvolle. Und das konnten regelrechte Banalitäten sein: zum Beispiel, wenn die Giehse ein Gulasch gegessen hat. Aus einem leeren Teller.
Barbara Yelin: „Die Giehse. Ein Leben für das Theater 1898 - 1975“ (Reprodukt, 56 Seiten, 20 Euro). Das zum Giehse-Jubiläum in den Kammerspielen ausgegebene Heft ist vergriffen, die erweiterte Hardcover-Version allerdings im Theater erhältlich.