"Das ist für mich unzumutbar": Bahn-Baustelle sorgt für Frust im Münchner Umland

Einfach in Landshut in den Regionalzug zum Hauptbahnhof München steigen und bis zur Endstation durchfahren. Das wäre so schön, aber funktioniert dieser Tage nicht. Von 1. bis 12. Dezember bremst eine Bahn-Baustelle Pendler und Reisende aus dem Münchner Umland massiv aus.
Heißt im Klartext: Ab Freising müssen sie deutliche Umwege in Kauf nehmen. Mit Bussen und/oder S- und U-Bahnen. Ein Beispiel: Landshuter müssen aktuell teils sogar bis zu drei Mal umsteigen und rund eineinhalb Stunden einplanen – statt wie sonst üblich rund 50 Minuten.
Die AZ ist am Dienstagmorgen am Landshuter Hauptbahnhof. Eine Frau wartet um 7.45 Uhr vor dem Gebäude auf den Schienenersatzverkehr (SEV) zum Flughafen. Dieser Bus ist eine mögliche Variante, um dann vom Besucherpark aus weiter mit der S8 in Richtung München zu kommen. "Es ist für mich und sicherlich für Hunderte andere eine Zumutung", sagt die Wartende. Sie habe von der Baumaßnahme Tage zuvor über Durchsagen erfahren. Ihr erster Gedanke: "Schon wieder Baustelle!" Für sie als Pendlerin sei es eine "Katastrophe". Trotzdem steigt sie nicht aufs Auto um, "damit bin ich auch nicht schneller". Stichwort: Parkplatz-Suche in der Landeshauptstadt.
"Das mache ich nicht jeden Tag, ich weigere mich"
Sie erzählt weiter: "Ich arbeite mitten in München." Um nun dort hinzukommen, fährt sie mit dem Bus zum Flughafen und wechselt dort in die S-Bahn. Für sie ist schon am ersten Tag der Baustelle klar: "Das mache ich nicht jeden Tag, ich weigere mich." Sie werde in den nächsten zwei Wochen mehr im Homeoffice arbeiten - für ein paar Termine müsse sie aber eben nach München. "Das ist für mich unzumutbar, ich arbeite sechs Stunden am Tag und bin über vier Stunden unterwegs. Das geht nicht", ärgert sie sich.

Wenig später nähert sich eine junge Frau dem SEV-Halt, sie schaut suchend, ob sie vor dem richtigen Bus steht. Sie ist Studentin, wie sie der AZ erzählt. Von der Baustelle hat sie "gerade eben" erst erfahren. Drei Tage in der Woche muss sie an die Uni nach München. "Problematisch, das ist nicht gut", sagt sie über die umständliche Verbindung.
Das sagt die Deutsche Bahn zu der Baustelle
Die Deutsche Bahn teilt der AZ mit, warum diese knapp zweiwöchige Baustelle notwendig ist: "Neben einem Schwellentausch erneuert DB InfraGO in Neufahrn auch mehrere Weichen. Außerdem laufen an verschiedenen Stellen zwischen Landshut und Neufahrn Arbeiten an Schwellen, Weichen, Oberleitungen und an einem Bahnübergang", so ein Bahnsprecher.

Im Kern sei der Ersatzverkehr eine Pendel-S-Bahn, "die durchgehend als Langzug im 20-Minuten-Takt zwischen Freising und Flughafen verkehrt (ohne Halt in Neufahrn) und somit den Freisinger Bahnhof anbindet, an dem die Regionalzüge enden."
Mehr Ersatzbusse in der zweiten Bau-Woche
Am Flughafen Besucherpark könnten Reisende zwischen der Pendel-S1 und der S8 wechseln, um in die Stadt München zu gelangen. "Hier kommen daher auch die Ersatzbusse der S1 (ab Lohhof/Feldmoching) sowie der RE 25 aus Landshut an. Die Station Besucherpark agiert somit also als zentraler Umsteigeknoten für das Ersatzangebot."
Der Bahnsprecher führt weiter über den Bus-Ersatz für Freising aus. "Für die S1 sind zwischen Lohhof und Flughafen rund zwölf Busse pro Stunde und Richtung unterwegs, in der zweiten Bauwoche werden es 18 Busse je Stunde und Richtung sein."

Der Bahnsprecher teilt mit: "Die Anbindung auf der Schiene (Freising – Besucherpark – München) ist deutlich leistungsfähiger und bietet spürbar mehr Kapazitäten als dies ein Ersatzverkehr mit Bussen zwischen Freising und Innenstadt je leisten könnte." Auch sei die S-Bahn schneller, gerade bei einer solch langen Strecke.
Gleis 6: Ein Pilot und eine Reisende wollen zum Flughafen
Zurück zum Hauptbahnhof Landshut, Gleis 6. Dort fährt die Bahn Richtung München typischerweise ab. An diesem Tag geht sie nur bis Freising. Es ist kurz vor 8 Uhr, am Gleis wartet ein Mann in Lufthansa-Uniform. Damit ist schon mal geklärt, welches Ziel er hat. Ruhig sagt er: "Es bleibt einem nur die Möglichkeit, an Gleis 6 zu stehen und zu hoffen, dass ein Zug kommt." Tatsächlich hat der Regionalzug nach Freising schon ein paar Minuten Verspätung.
Beim angebotenen Ersatzbus ist der Pilot zurückhaltend: "Ich habe im vergangenen Sommer die Erfahrung gemacht: Die Busse waren so überfüllt, dass man nicht mehr hinein passte und dann auch den Zug verpasste." Deswegen wartet er lieber an Gleis 6.
Ich müsste anrufen und meinen Dienst absagen. Das wäre sehr schlecht
Wenn er zu spät zum Flughafen kommt, würde das bedeuten: "Ich müsste anrufen und meinen Dienst absagen. Das wäre sehr schlecht." Eine Stunde Puffer hat er eingeplant. Er habe zudem im vergangenen Sommer ans bayerische Kabinett geschrieben. Ebenfalls in der Causa Baustellen. Weil es ihn sehr ärgere, "dass man die arbeitende Bevölkerung hängen lässt und die Infrastruktur durcheinanderbringt". Er muss – Gott sei Dank – nur an diesem Dienstag die Strecke zurücklegen, bei der Rückkehr am Wochenende ohne beruflichen Zeitdruck sieht er es gelassener.
Neben ihm steht eine Deutsch-Amerikanerin mit gepackten Koffern. Sie will ebenfalls zum Flughafen, weil sie um 11.30 Uhr in die Maschine nach Florida steigen möchte. "Mir war nicht bewusst, dass es eine Baustelle auf dem Gleis gibt." Sie hofft, dass sie es mit etwas Puffer rechtzeitig zum Terminal schafft. "Im schlimmsten Fall muss ich ein Uber rufen – wenn ich den Flug verpasse, wäre es wesentlich teurer."
Die AZ fährt weiter nach Freising – hier gibt es ein Hilfsangebot
Die AZ steigt auch in den leicht verspäteten RE3. In Freising erzählt ein junger Mann aus Passau, dass er durch die Baustelle drei Stunden anstelle zwei in Richtung München brauche. "Es ist sehr ärgerlich." Aber: "Was soll man machen?" Auf die Bahn schimpft er nicht. "Es ist nicht die Schuld der Bahn." Bayern sei aus seiner Sicht kein gutes Land für Bahnfahrer. Er ist der Meinung, dass CSU/CDU die nötige Infrastruktur "weggespart" hätten.

Fünf Bahn-Mitarbeiter stehen in Freising auf dem Bahnsteig, geben Auskunft, helfen überforderten Passagieren. "Passau, Gleis 2!", ruft eine von ihnen suchenden Reisenden zu. Ihr Kollege erzählt der AZ, dass sie in wechselnder Besetzung weiterhelfen. "Jeder ist etwas angepisst von der Baustelle. Aber wenn die Leute wissen, wie sie weiterkommen, gibt es null Probleme."
"Jetzt nehm ich mir dann ein Taxi und schick euch die Rechnung"
Ein bisserl anders klingt das von einem Mann, der im Vorbeigehen sagt: "Jetzt nehm ich mir dann ein Taxi und schick euch die Rechnung!" Der Arbeiter will von München nach Landshut. Er hätte um 7 Uhr in der Arbeit sein sollen, jetzt sucht er um 8.45 Uhr in Freising immer noch nach dem richtigen Zug. Von der Sperrung wusste er vorher nichts.

Draußen neben dem Freisinger Bahnhof hat sich derweil eine Traube gebildet, die in den Bus X660 zum Forschungszentrum Garching will. Denn auch dieser wird als Alternative in der App DB Navigator vorgeschlagen. Mit weiteren Umstiegen in die U6 und in die U5, bis man irgendwann am Hauptbahnhof München landet.
Der Bus nach Garching ist voll – Passagiere müssen warten
Doch als der Bus einfährt, wird schnell klar: Alle passen da nicht rein. Am Ende bleiben viele Menschen stehen, kramen ihr Handy heraus, senken die Köpfe – neue Alternative suchen. Eine Studentin, die regelmäßig zum Forschungszentrum Garching fährt, erzählt, dass es sonst sehr selten passiere, dass nicht alle Passagiere in den Bus passen. Sie bleibt stehen und will auf den nächsten warten.
Auch drei Taxler warten vor dem Bahnhofseingang, aber nicht auf den Bus. Sondern auf Kunden. Haben sie durch die Bahn-Baustelle mehr Geschäft? Sie winken ab, kurioserweise nicht.
Die gute Nachricht für alle Pendler und Reisenden: Bereits am 12. Dezember fahren die Züge wieder regulär, das bestätigt der Bahnsprecher der AZ.